Bewertung
Curse

Freiheit

"Halleluja!" möchte ich rufen, als ich die neue Scheibe von Curse alias Michael Kurth aus Minden endlich in den Händen halte. Ein heller Schein fällt von oben auf das gute Stück namens "Freiheit" – und wenn nicht, sollte er es! –, und selbige nehme ich mir, das Ding in Gänze und schamlos subjektiv zu betrachten. Denn persönlich hat mich der Mindener in früher Jugend geprägt, als ich noch in Baggyhose und Kapuzenpulli so manche Gegend unsicher machte. Damals bekam er dank "Lass Uns Doch Freunde Sein" massig Airplay und gleichermaßen Rückenwind.

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Das ist sieben Jahre her. Nicht nur mit seinen folgenden Single-Auskopplungen "Warum Nicht?", dem bewegenden "Hand Hoch", "Widerstand" an der Seite von Gentleman und "Und Was Ist Jetzt?", welches ihn zu Recht 2003 in vieler Leute Munde brachte, begleitete er mich durch die Jahre. Im selben Jahr erlebte ich ihn einmal live zu nächtlicher Stunde vor dem erleuchteten Kölner Neptunbad, und die Performance von "Hand Hoch" jagte mir seinerzeit Schauer über den Rücken. Von Nostalgie ergriffen, hielt ich also vor ein paar Tagen das neueste Werk in den Händen, für das sich der gute Mann schlichtweg viel zu lange Zeit ließ. Sollte man meinen. Genau genommen nahm er sich gerade soviel Zeit, um mit "Freiheit" nicht nur erneut seine Duftmarke in der sich zuletzt stark wandelnden deutschen Rapszene zu setzen, sondern auch einen weiteren Meilenstein.

Seine gleichnamige erste Single ließ bereits erahnen, was einem auf "Freiheit" geboten wird. Niemand Geringeres als Marius Müller-Westernhagen unterstützt das Comeback eines jener deutschen Ausnahmekünstler, die sich Zeit ihres Schaffens stets durch Qualität auszeichneten. So reflektiert wie Curse präsentieren sich hierzulande die wenigsten, und gerade unter den hiesigen Rappern tut er sich damit auf angenehmste Art und Weise hervor: "Ich red' kompliziert, weil ich kompliziert bin und kompliziert denk'. [...] Irgendwie hab' ich keine Zweifel, doch zweifel' ich an mir selbst.", gibt er auf "Schöne Wahrheit" zu und damit tiefen Einblick in sein Innerstes. Einmal mehr lässt Curse sein Publikum nah an sich heran – mit jedem weiteren Album hat es das Gefühl, ihn besser zu kennen als zuvor.

Auf "Freiheit" öffnet er sich, und beäugt gleichermaßen kritisch sein Umfeld: "Man muss feiern, dass wir noch wach sind statt benebelt vom Schwachsinn." Mehr als deutlich wird, dass Curse begreift, was um ihn herum passiert. Mit offenen Augen geht er durchs Leben, und verarbeitet alles auf gewohnt hohem lyrischen Niveau. Damit, dass er die deutsche Rapublik zuweilen spaltet, und längst nicht jeder seinen mitunter melancholischen Stil zu schätzen weiß, kann Curse sehr gut umgehen: "Ich habe immer gemacht, was ich wollte und es ist geil, wenn man anders ist", steht er im Schluss-Track "Fantastisch" zu dem, was er tut. Anders als die anderen ist Michael Kurth wirklich: Mit großer Intelligenz begegnet er jeder Situation, und ist dabei selbst sein größter Kritiker: "Doch ist es wirklich, was Du willst im Leben? Dich wegen Selbstzweifeln selbst keinen Schritt zu bewegen? Ich weiß, sich zu ändern tut weh. Und ich erwisch' mich selber oft genug dabei, dem aus dem Weg zu gehen – Du hälst Dich an die Muster, die Dich halten, und das lähmt Dich. [...] man bereut im Rückblick nichts davon, was man getan hat, aber das, was man nicht getan hat, schon."

Auf "Ich Kann Nicht Mehr", das er mit seinem Freund und Erfurter Künstlerkollegen Clueso aufgenommen hat, blitzt nicht nur seine unbestrittene Qualität als Schreiber auf, sondern auch eine große Persönlichkeit. Dass Curse keiner ist, der die Dinge schweigend hinnimmt, beweist er auf seiner gesamten Platte immer wieder aufs Neue. Er spricht sie an. Und wenn er damit Erfolg hat, ist das völlig ok: "Fast jeder Rapper ist ein bisschen Kommerz." Das ist wahr, und bestätigt nur, dass Curse thematisiert, was die Leute bewegt. "Nicht alles, was man macht, ist ein Erfolg, wenn's klappt", spricht's – und es bedarf keiner weiteren Worte.

Was Liebhabern hochwertiger deutscher Rapmusik auffällt: Gleich acht Kollaborationen ist Curse für sein neues Album eingegangen. Neben Clueso, Xavier Naidoo, Silbermond und Patrice wurden auch eher unbekannte Künstler wie Chima, welcher 2001 mit den Brothers Keepers und "Adriano" kurzzeitige öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr, mit ins Boot geholt. Doch gerade Silbermond sind es, die man so vielleicht nicht auf Curses Album erwartet hätte. Gerade das, so Curse, sei aber unter anderem das, was er unter der viel umsungenen Freiheit verstehe – nämlich das machen, was man will und nicht machen, was man soll: "Freiheit bedeutet auch zu enttäuschen, sich selbst zu erfüllen, statt die Erwartungen von anderen Leuten.", erklärt Kurth in der ersten Single, "Freiheit heißt, sich hin und wieder auch die Freiheit zu nehmen, die Meinung zu wechseln." Davon, dass Rap- und Popmusik nicht zusammengehören oder –passen, will er nichts wissen. Zum Glück, denn die Collabo hat sich gelohnt: "Bis Zum Schluss" ist eines der besten Lieder auf dem Album, auf dem es keine Schwachstelle gibt – wie selten es ist, dass kein Lied enttäuscht. Keineswegs unerwähnt bleiben darf das herausragende "Lila", ein ungemein intensiver, kraftvoller, beklemmender Song, der selbst für Curses Verhältnisse extrem tief unter die Haut geht.

Zum Schluss noch ein kleiner Schwenk aus meinem Leben: In der ersten Nacht legte ich das Album ein, als ich ins Bett ging. Ich hörte es, bis ich einschlief – und es lief durch bis morgens früh. Als ich aufwachte, raste mein Herz. Im Halbschlaf hörte ich "Lila", das, in düsteren Farben gemalt, die traurige Realität einiger junger Mädchen widerspiegelt. Dramaturgisch aufgebaut wie ein hochkarätiger Krimi gipfelt Curses in ihrer Authentizität erschreckenden Bestandsaufnahme der Gesellschaft.

Nach den drei Jahren, in denen Curse privaten Frühjahrsputz betrieben hat, fand er einmal mehr den Mut, unkonventionell zu sein. Er macht mit "Freiheit" alles richtig, zeigt großes Gefühl wie auf "Baby" und "Wenn Ich Die Welt Aus Dir Erschaffen Könnte" ("Ich kann nichts sehen, wenn Du wegblickst, weil meine Aussicht, wenn Du weg bist, inperfekt ist.") ebenso gekonnt, wie er den Menschen den Spiegel vorhält. Curse hat und Curse macht Mut, bedingungslos zu sich selbst zu stehen. Nicht zuletzt festigt er seine Position in der deutschen Musiklandschaft, in welcher er zweifelsohne zu den Besten gehört. "Freiheit heißt für mich Fehler machen wie'n Kind, und wenn es sein muss, fall' ich halt hin. Doch ich steh' wieder auf, Freiheit heißt: Zöger' nicht, sondern lauf." Und genau das tut Curse in immer größeren Schritten auf dem exakt richtigen Weg, "denn Freiheit entsteht im Handumdrehen: dadurch, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen."

Anspieltipps

Freiheit

Schöne Wahrheit

Lila

Bis Zum Schluss

Videos

Bis Zum Schluss (feat. Silbermond)

Weitere Musikvideos von Curse

Artistpage

Curse.de

Tracks

1.Der Lange Weg Zur...
2.Freiheit
3.Stell Dir Vorfeat. Xavier Naidoo
4.Schöne Wahrheitfeat. Chima
5.Nur Ein Ganz Kleines Bisschenfeat. Jenny Willemstijn
6.Gold
7.100 Jahre
8.Ich Kann Nicht Mehrfeat. Clueso
9.Babyfeat. Nneka
10.Feier Dich Selbstfeat. Patrice
11.Lilafeat. Jaguar Wright
12.Wenn Ich Die Welt Aus Dir Erschaffen Könnte
13.Bis Zum Schlussfeat. Silbermond
14.Fantastisch

Aljana Pellny - myFanbase
21.10.2008

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