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Christian Venus

3 Uhr Morgens

Ein markantes Kinn, Struwwelhaare und Drei-Tage-Bart: Auf dem Cover seines Debütalbums "3 Uhr Morgens" präsentiert sich der 27-jährige Kieler Jung Christian Venus (Der heißt wirklich so. Ganz in echt.) irgendwie unnahbar; als ein Mann, der entweder kein anderes Portrait als das kürzlich angefertigte Passfoto nach biometrischen Richtlinien zur Hand hatte; oder aber er bewarb sich damit bei der Kriminalpolizei: Für die Verbrecherkartei. Nordlicht oder lediglich Pokerface? Diese Frage beantwortet man sich am besten selbst: Indem man hört, was der Mann zu sagen hat.

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Was sich sehr bald herausstellen sollte: Allzu unnahbar ist dieser Christian Venus nicht. Denn nicht nur, dass er irgendwo versteckt in seinem Opener "3 Uhr Morgens" eine Frau erwähnt. Eine Frau mit der es geklappt hat oder auch nicht und wenn doch, dann allerdings nur in der Vergangenheit: "Es ist drei Uhr morgens und ich weiß nicht, wo ich bin/ und in solchen Momenten kommst Du mir in den Sinn." Beinahe vier Minuten dreißig auf der Flucht wirkend, irrt er durch bekannte, aber trivial erscheinende Gassen und Gegenden.

Von der gewohnten Umgebung zur Beziehungsroutine: Zumindest die eine Hälfte scheint des Alltags müde und Christian Venus sieht, dass die Zeichen – zu seinem Missfallen – auf Trennung stehen: "Ich will nicht, dass Du's mir erklärst/ ich will, dass es so bleibt wie immer." Und nur wenige Sekunden später haut der vermeintlich kühle Norddeutsche zum ersten Mal Worte raus, die ihn verletzbar machen und zeigen: "Ich will nicht, dass Du mich so siehst/ Ich kann es nicht vor Dir verstecken. Halt mich, bevor Du mich verlässt/ nur noch 'ne Weile/ nur noch ein bisschen fest."

Der ersten und nicht letzten Ballade des Albums folgt ein Song mit dem Augen zum Himmel gerichtet: "Nach oben" handelt vom Träumen, Fliegen, dem alltäglichen Alltag Entschwinden. Von jenem Gefühl, das sich einstellt, wenn man sich gefunden hat in einem Moment, der unsterblich ist und macht: "Und wir treiben leise in die Nacht/ wir atmen ein, wir atmen aus/ und zögern noch kurz vorm Absprung/ doch heute kann uns alles gelingen. Und wir springen/ und wir springen. [...] Und wir fallen nach oben, heben ab/ dem Himmel entgegen."

Ähnliches hätte der Gute wohl auch liebend gerne mit jenem weiblichen Geschöpf erlebt, welches in "Fußballstadion", der ersten Single, Erwähnung findet. Denn nach der EM, die sich musikalisch ausschließlich zur Liebe zu Spiel, Spaß und Spannung – also zum runden Leder selbst – bekannte, besingt Herr Venus "die Leidenschaft, die ich für Dich und Du für Fußball hast". Entgegen all seiner Planungen sieht er sich letzten Endes eher als beliebig austauschbare Stadionbegleitung, anstelle als Objekt der weiblichen Begierde, und so verliert ein Mann den Kampf gegen 50.000 und gleichermaßen gegen ihren Lieblingsverein. Erfrischend das Thema, leider nicht ganz so neu kommt die Melodie daher.

Auch in der fünften Nummer von "3 Uhr Morgens" scheint er etwas verloren zu haben; allerdings ist weder er, noch der Hörer sich wirklich sicher, ob Herz, Verstand, Brandlöscher oder alles auf einmal: "Brandstifter", dem textlich vielleicht stärksten der zwölf Stücke, entspringt dem Gedanken an eine Frau, die ihm eine gehörige Identitätskrise verpasste: "Was hast Du getan? Ich kenn' mich nicht mehr." Und das alles nur, weil ihm etwas widerfahren ist. Die Antwort auf die Frage, was, ist ebenso einfach wie kompliziert: Er hat sich verliebt. Sehr sogar. Vielleicht in das Mädel aus Lied 1, vielleicht waren es die Anfänge mit dem aus Lied 2, vielleicht aber auch die Fortsetzung mit der Bekanntschaft aus Lied 7. Man steckt nicht drin. Aber was man weiß ist, dass es ihn richtig erwischt hat, denn der arme Junge weiß nicht mehr, wo ihm der Kopf steht: "Nur Du löschst die Feuer, die Du legst/ nur Du heilst die Wunden, die Du schlägst. Du bist mein Arzt, meine Beschwer/ mein Brandstifter, meine Feuerwehr. [...] Warum ziehst Du mich so an? Verrat' mir Dein Geheimnis."

Vielleicht erzählt er von eben jenem Mädchen auch in "Unglaublich", denn erneut ist der Mann aus Kiel, der inzwischen in Hamburg lebt, in seinen Erklärungen reichlich ratlos: "Sie ist so anders als die Anderen/ was immer das ist. Irgendwie besonders/ was immer das ist [...] Ihr müsstet sie sehen, um mich zu verstehen." Und auch der sechste Track, "Was Auch Immer", reiht sich nahtlos ein.

Doch auf Sonne folgt Regen und das zeigt sich im neunten Song. Christian Venus setzt den Hörer in eine Achterbahn der Gefühle, die nach drei Runden der Begeisterung und einem stetigen emotionalen Hoch plötzlich abwärts fährt: "Regenwelt" knüpft möglicherweise genau dort an, wo "Fragezeichen" aufhört. Sämtliche Unklarheiten beseitigt; es ist Schluss und zwar endgültig. Und was an niemandem spurlos vorbeigeht, lässt auch ein Nordlicht nicht kalt. Doch dass auf Regen selbstverständlich auch wieder Sonnenschein folgt, weiß auch Christian Venus: "Und ich hoffe, es wird irgendwann mal gehen. Mit den Stunden/ mit den Tagen/ mit der Zeit." Und mit ihr heilen die Wunden.

Bewegte man sich bislang im Großen und Ganzen zwischen "himmelhoch jauchzend" und "zu Tode betrübt" – oder aber im Fußballstadion –, wendet sich Venus im Folgenden weitestgehend neuen Themen zu. In "Wie Im Film" erzählt der hübsche Wahl-Hamburger von einem Erlebnis, vermutlich nicht seinem eigenem oder vielleicht doch, mit einer Traumfrau mit Symbolcharakter auf der Autobahn, all das Unbegreifbare dieser Welt verkörpert. (Und davon gibt es – sowohl in positiver, als auch negativer Hinsicht – nicht gerade wenig.)

"Hysterie" ist ein Lied über die Liebe. Eines mehr. Und doch irgendwie anders als die anderen: Es heißt nicht Euphorie oder Enttäuschung. Nicht Freude oder Verzweiflung, nicht schwarz oder weiß. Denn "Hysterie" bewegt sich mittendrin: "Kopfüber ins Chaos/ riskier' was mit mir [...] Du bist das in mir, wofür ich alles riskier' [...] Unsere Liebe kommt nicht wieder [...] verlier' Dich in Hysterie." Eine einstige Liebe in der Waagschale zwischen Bleiben und Gehen, Loslassen und Festhalten.

Auf das vorletzte, aufbrecherische "Auf'm Sprung" folgt "Jemand, Der Dich Wirklich Liebt" und somit Abenteuerlust auf Traumwandeln in einer "Stadt, die es nie gegeben hat."

Fazit

In ein durchweg gitarrenlastiges Gewand hüllt Christian Venus seine zwölf ersten auf einen Silberling gepressten Songs, denen er nicht nur obendrauf sein Gesicht, sondern auch innen drin sein Gefühl und seine Stimme leiht. Herausgekommen ist ein gutes, wenn auch leider nicht großartiges, deutsches Debütalbum Marke Pop/Rock, das sicherlich einige Herzen da draußen für sich gewinnen kann und wird. Und so manches derer wird sicherlich auch Herrn Venus selbst zufliegen: Für ausreichend neuen Stoff für ein weiteres Album über Frauen und die Liebe dürfte somit also zunächst gesorgt sein.

Anspieltipps

3 Uhr Morgens

Fragezeichen

Nach Oben

Brandstifter

Tracks

1.3 Uhr Morgens
2.Fragezeichen
3.Nach Oben
4.Fußballstadion
5.Brandstifter
6.Was Auch Immer
7.Unglaublich
8.Regenwelt
9.Wie Im Film
10.Hysterie
11.Auf'm Sprung
12.Jemand, Der Dich Wirklich Liebt

Aljana Pellny - myFanbase
11.07.2008

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