Bewertung
N.E.R.D.

Seeing Sounds

"I know you try hard, but you gotta try harder": Anhand dieser "Anti Matter" entsprungenen Textzeile lässt sich die Person Pharell Williams ganz gut charakterisieren. Denn dieser Mann tut ungern nichts. Das Aushängeschild von N.E.R.D. ist nämlich nicht nur das Aushängeschild von N.E.R.D., des Weiteren bestehend aus Chad Hugo und Sänger Shay Haley, sondern stellt nebenbei 50% des Produzentenwunders The Neptunes und macht auch solo. "The Neptunes are who we are and N*E*R*D is what we do.", sagt Williams über die beiden Projekte. Und was sie in letzter Zeit getan haben, finden Freunde, Feinde und Fremde auf dem nach "In Search Of..." (2001) und "Fly Or Die" (2004) nunmehr dritten N.E.R.D.-Studioalbum "Seeing Sounds".

Foto: Copyright: Interscope Records
© Interscope Records

Der Albumtitel steht in Anlehnung an eine seltene Fähigkeit, Synästhesie genannt, welche es dem Träger ermöglicht, verschiedene Bereiche der Wahrnehmung untrennbar miteinander zu verknüpfen. Dies geschieht unterbewusst und lässt sich nicht erzwingen; es geschieht einfach und wird von demjenigen als selbstverständlich angesehen. Der russische Künstler Wassily Kandinsky beispielsweise hat sich dieser Gabe für seine späteren Meisterwerke bedient: So hatte er einst einem Konzert beigewohnt und es auf Leinwand festgehalten; allerdings nicht durch das Darstellen von Instrumenten, Dirigent und Musikern – sondern durch Farbflächen und Linien, die er den Melodien und Klängen zugeordnet hatte.

Jenes Verbinden zweier Welten kann symbolisch für das Selbstverständnis der Musik genommen werden, die N.E.R.D. machen. Unter dem Künstlernamen The Neptunes produzieren Chad Hugo und Pharell Williams überwiegend hiphop-lastige Beats, die in der Musikwelt stets heiß begehrt sind. Zu ihren berühmtesten Kunden zählen beispielsweise Snoop Dogg, LL Cool J, Nelly, Busta Rhymes, Jay-Z, Justin Timberlake – sogar Britney Spears und Gwen Stefani haben bei den Herren Hitmaschinen angeklopft und um Schützenhilfe gebeten. Als N.E.R.D. und mit Sänger Shay unterwegs, setzen sie auf musikalische Vielfalt und verwischen ein ums andere Mal gekonnt die Grenzen zwischen Rap und Rock.

Nach "Time For Some Action" begrüßen Williams und Hugo den geneigten Hörer mit der ironischen ersten Single-Auskopplung, "Everyone Nose (All The Girls Standing In The Line For The Bathroom)". Die ist an Eingängigkeit kaum zu überbieten und animiert zum Mitrufen. Der Refrain verpflichtet. Und wer nicht mitzieht, ist doof. Gerade in Stimmung, gerät man mit "Windows" daraufhin an ein reines, einer bildschönen und äußerst leicht bekleideten Nachbarin huldigendes Spaßlied, das seinem Zwecke nachkommt und wie von selbst gute Laune verbreitet. Besonders jetzt im EM-Sommer, wo mitgrölfähige Stadionhymnen und einprägsame Melodien Hochkonjunktur haben, geht der Song spielend leicht ins Ohr und bleibt dort: "De Da Da, Da Doe Doe Doe!"

"Anti Matter", der nun folgende Song, knüpft auf dem neuen Album erstmals dort an, wo Hugo und Williams als The Neptunes aufhören: Spezieller, leicht aggressiv anmutender Beat unter einer Ohrwurm-Hook und fließendem Sprechgesang. Einen besonderen Kontrast bieten die beiden aufeinander folgenden Songs "Sooner Or Later" und "Happy", die bei genauerem Hinhören wirken, als hätten man zunächst alles schwarz gemalt, um anschließend in einen Topf mit weißer Farbe zu greifen, und die erst gerade noch so trostlose Welt umgehend mit unzähligen Sonnenblumen übersät. Denn, wieso auch immer, scheint Pharell Williams auf "Happy" wirklich unsagbar froh darüber zu sein, eine gewisse Person aus seinem Leben verabschiedet zu haben: "But there's no need for you now/ because I'm free of you now/ you see I'm happy. Things are lookin’ good now, I feel so alive".

Dass der Songinhalt hinter dem musikalischen Mantel oftmals zurücktritt und eher die sekundäre, untergeordnete Rolle spielt, ist nicht wirklich das, was man als neue Erkenntnis abtun könnte . Und vermutet man hinter den zwölf Tracks auf "Seeing Sounds" nicht die ganz großen Songwriter-Perlen, so wird man Recht behalten. Ein Lied allerdings sticht textlich hervor und hebt sich ab von den anderen elf: "Love Bomb", ein Weckruf, plädiert auf der Hoffnung nach einer bessere Welt und Vertrauen in sich selbst: "I believe, that when you lose your root, choose the sunlight/ it could be your guide." Auf Verstand Einschalten und Augen Öffnen: "Fuck what the government say/ we gotta save some lights now". Es ist ein Appell zur Menschlichkeit auf Startnummer Zehn, der auch vor der Thematik der US-Politik nicht zurückschreckt: "Can't you see? This is the Truman show, baby / cause when they fight/ who dies is you". Diese vermutlich eindringlichste Zeile auf dem gesamten Album wird lediglich von jener erreicht, die jene Vorstellung beschreibt, die man sich von der – sich hoffentlich nicht bewahrheitenden – Zukunft macht: "I've been down every avenue/ but everybody's good as gone". Ein Lied, das betroffen macht, aber auch aufmerksam. Leider auch der letzte wirklich gute Song; "You Know What" sowie "Laugh About It" wissen nicht zu überzeugen – schon gar nicht im Anschluss an den neben "Windows" vielleicht besten Track des Albums.

Fazit

Insgesamt scheinen sich die vier Jahre Pause seit "Fly Or Die" und Hits wie "She Wants To Move" und "Rock Star" gelohnt und als richtig erwiesen zu haben. Denn nicht nur die Tatsache, dass The Neptunes anderen Künstlern auf wunderbare Weise takt- und tontechnisch unter die Arme greifen; N.E.R.D. liefern mit "Seeing Sounds" ein solides Album ab, auf dem das Rad nicht neu erfunden wird, es sich aber herrlich einfügt in das N.E.R.D.-Betriebssystem – und siehe da: Es läuft.

Anspieltipps

Everyone Nose (All The Girls Standing In The Line For The Bathroom)

Windows

Anti Matter

Love Bomb

Tracks

1.Time For Some Action
2.Everyone Nose (All The Girls Standing In The Line For The Bathroom)
3.Windows
4.Anti Matter
5.Spaz
6.Yeah You
7.Sooner Or Later
8.Happy
9.Kill Joy
10.Love Bomb
11.You Know What
12.Laugh About It

Aljana Pellny - myFanbase
27.06.2008

Diskussion zu dieser CD