Bewertung
Niven, John

Coma

Jetzt wird richtig zugeschlagen.

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Inhalt

Gary und Lee sind Brüder und wohnen in der schottischen Kleinstadt Ardgirvan, führen jedoch zwei völlig unterschiedliche Leben. Gary hat einen soliden Bürojob, wünscht sich Kinder mit seiner Frau Pauline und ist total verrückt nach Golf, obwohl ihm jedes Talent für diesen Sport fehlt. Lee dagegen ist ein Kleingangster, der sich mit seinen Betrügereien, Diebstählen und Drogendeals regelmäßig in Schwierigkeiten bringt und seine Frau und die drei Kinder kaum versorgen kann.

Nachdem Gary von einem Golfball am Kopf getroffen wurde, fällt er für mehrere Tage ins Koma. Als er wieder zu sich kommt, zeigen sich schwerwiegende neurologische Schäden. Gary leidet nun am Tourette-Syndrom und an Hypersexualität, so dass er ständig Erektionen bekommt und auch schon mal in aller Öffentlichkeit den Zwang verspürt, zu masturbieren, doch gleichzeitig kann er plötzlich fantastisch Golf spielen. Derweil lässt sich Lee mit der mächtigsten Gangsterfamilie der Stadt ein und soll, um seine Schulden zu begleichen, einen Mord begehen. Unerwartet kreuzen sich so die Schicksale der beiden Brüder.

Kritik

Auf der Rangliste der Sportarten, die ich erstens totlangweilig und zweitens von ihrer ganzen Aufmachung her unsympathisch finde, steht Golf ziemlich weit oben. Von daher hätte ich John Nivens Roman "Coma" eigentlich gar nicht in die Hand nehmen dürfen, spielt der Golfsport darin doch eine herausragende Rolle. Überraschenderweise hat mir das Buch aber wirklich gut gefallen und das nicht trotz des vielen Golfs, sondern durchaus deswegen. Wie kann das sein?

John Niven gelingt es auf sehr unterhaltsame Weise, den Golfsport als eine schmerzhaft-berauschende Sucht darzustellen, die in einem Moment Freude und im nächsten Augenblick Leiden schafft. Der Golfsport bietet den Männern des schottischen Küstenortes Ardgirvan die stetige Grenzerfahrung zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. An dem Charakter Gary wird dies mit rabenschwarzer Ironie besonders deutlich. Er ist ein grottenschlechter Spieler, bis er von dem verirrten Ball eines deutlich besseren Golfers am Kopf getroffen wird und für mehrere Tage ins Koma fällt. Plötzlich kann Gary verdammt gut Golfen und entwickelt sich zu einer Berühmtheit, allerdings auf Kosten seines Verstandes.

Das extreme Tourette-Syndrom, an dem Gary nun leidet, führt dazu, dass er ständig unkontrolliert Obszönitäten von sich gibt, die ihn zur personifizierten Jugendgefährdung machen und zu schockbedingten Ohnmachtsanfällen unter seinen Mitmenschen führen. Als Leser muss man an einigen dieser Stellen laut auflachen oder zumindest breit grinsen, ohne dass der Roman den Eindruck vermittelt, das Tourette-Syndrom wäre witzig oder harmlos. Im Gegenteil. Es ist eine tragische Komik, die sich dahingehend entwickelt, dass man über Garys Ausbrüche mit der Zeit gar nicht mehr schmunzeln kann, sondern vor allem Mitleid empfindet und sich Sorgen um Gary macht. Gegen Ende des Romans nehmen die Fachausdrücke aus der Welt des Golfssports immer mehr zu, was zwar für den Leser ein wenig anstrengend ist, sich aber mit Garys überhitzenden Gehirnwindungen deckt.

Der Schlamassel, in den Garys älterer Bruder Lee gerät, erscheint dem Leser deutlich vertrauter, was natürlich in sich kurios ist, da es hier um Drogen und Mord geht, doch sind dies nun einmal Zutaten, die in beinahe jedem Thriller oder Krimi vorkommen. Lee ist der klassische Verlierertyp, der immer wieder auf die schiefe Bahn gerät und sich mit den falschen Leuten einlässt, nicht aus Böswilligkeit, sondern vielmehr aus Mangel an Fleiß, Intelligenz und Glück. Er und seine Familie sind so etwas wie schottischer White Trash.

Ihre unterschiedlichen Lebensstile führen dazu, dass Gary und Lee keine wirkliche Beziehung zueinander haben, obwohl sie noch immer im selben Ort wohnen, eine glückliche Kindheit hatten und von ihrer Mutter mit viel Liebe und Fürsorge bedacht werden. John Niven beschreibt hier sehr realistisch und ohne jeden Kitsch, dass sich Brüder einfach auseinander entwickeln können – und doch letztlich verbunden bleiben. Während Garys Geschichte mit vielen Unanständigkeiten aufwartet (aus den bereits genannten Gründen, für die er nichts kann), stecken in Lees Storyline durchaus einige brutale Momente. Auch dies ergänzt sich wunderbar.

Der deutsche Titel, der nicht einmal wirklich deutsch ist, denn dann müsste es "Koma" heißen, ist nicht allzu glücklich gewählt, da er den wahren Charakter des Romans nicht erfasst. Der Originaltitel "The Amateurs" drückt Garys und Lees jeweiligen Status als Amateurgolfer, der plötzlich unter eigenwilligen Umständen die Profis aufmischt, und Amateurgangster, der einen Mord begehen soll, aus.

Fazit

John Nivens zweiter Roman ist ein kluger, schwarzhumoriger Thriller, der den Beweis erbringt, dass Golf unter den richtigen Umständen tatsächlich unterhaltsam sein kann.

Maret Hosemann - myFanbase
23.03.2010

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