Bewertung
Mann, Heinrich

Der Untertan

Der Roman erzählt die Geschichte von Diederich Heßling. Seine Kindheit, seine Studienzeit bei der Burschenschaft, die Zeit des Wehrdienstes...

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Inhalt

Nach dem Studium übernimmt Diederich die väterliche Papierfabrik, in einer kleinen Provinzstadt. Von nun an soll dort ein anderer Wind wehen. Mit mehr oder weniger Glück versucht er den Betrieb zu führen, auch in der Kommunalpolitik engagiert er sich. Wenn ihm die Liberalen und die Sozialisten nicht immer alles vermiesen würden. Nach einer vorteilhaften Hochzeit ist Diederichs Aufstieg kaum noch zu bremsen. Auf seiner Hochzeitsreise verfolgt er den Kaiser, der Diedrichs vaterländischen Stolz jedoch nicht ganz zu würdigen weiß. Aber auch zu Hause kämpft er für die kaiserliche Gesinnung, bis in das Ehebett. Seine Frau Guste teilt seine Begeisterung leider nicht. Krönender Abschluss seines Aufstieges soll die Verleihung eines kaiserlichen Ordens sein, doch die Verleihung läuft anders ab als von Diederich vorgesehen.

Kritik

"Dieses Buch Heinrich Manns [...] ist das Herbarium des deutschen Mannes. Hier ist er ganz: in seiner Sucht zu befehlen und zu gehorchen, in seiner Rohheit und in seiner Religiosität, in seiner Erfolganbeterei und seiner namenlosen Zivilfeigheit" (Kurt Tucholsky über den Roman) Tucholskys bekanntes Zitat erfasst den Kern des Romans.

Es geht um die schicksalhafte Beziehung von Machtausübung und Machtunterwerfung. Die Erzählung spielt in der wilhelminischen Ära hat aber universalen bzw. zeitlosen Charakter. Diederich ist die personifizierte Mischung aus beidem. Bei der Unterordnung unter Autoritäten, besonders unter Vater und später Kaiser empfindet er ein tiefes Glücksgefühl. Anderseits wünscht er selber eine Autorität zu sein. Im eigenem Betrieb versucht er besonders streng zu sein, auch in der Burschenschaft will er den starken Mann markieren. Realität ist jedoch, dass Diederich ein feiger und unterwürfiger Drückeberger ist. Beim Militär, in der Burschenschaft, ja selbst bei den Liebschaften mit Frauen versucht er stets, unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen. Diederichs großes Vorbild ist der Kaiser. Er ist für ihn die wegweisende Persönlichkeit. Die Meinung des Kaisers ist auch Diederichs. Er sieht sich gewissermaßen als geistigen Verwandten des Kaisers. Diederichs Taten würden heroischer aussehen, wenn er nicht permanent in ein Fettnäpfchen nach dem anderen treten.

Und deshalb ist Manns Roman nicht nur eine schonungslose Abrechnung mit Männlichkeits- wahn, Militarismus und autoritärem Gehabe, sondern auch und vor allem eine herrlich ironische Satire. Manns humoristischen Talent ist es zu verdanken, dass dieses Buch keine herkömmliche Familiengeschichte ist, sondern eine unterhaltsame Parabel auf die immer noch herrschenden Machtstrukturen. Auch die anderen Personen passen in das Bild. Da wäre Napoleon Fischer, der Sozialist in Diederichs Betrieb. Eigentlich ja der politische Gegner, der bis aufs Blut bekämpft werden sollte. Aber auch Fischer ist von der Macht korrumpiert und man findet einen modus vivendi. Ein wenig anders sieht es mit Familie Buck aus. Der alte Buck, Liberaler und Revolutionär von 1848, war jahrelang die einflussreichste Person der Stadt. Aber die Zeiten haben sich geändert und beim Kaiser zählt der Liberalismus nicht mehr viel. Der Niedergang der Bucks ist verknüpft mit dem Aufstieg der neuen, Kaisertreuen. Allen voran Diederich Heßling. Anhand eines komplexen Personengeflechts zeigt Mann, wie Machtausübung und –Unterwerfung funktionieren, das System der Politik und nutzt dabei durchaus gängige Klischees.

Am meisten beeindruckt den Leser wohl die Entstehungsgeschichte des Romans. Der wahrscheinlich größte Roman über Spießertum und das wilhelminische Zeitalter wurde zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt geschrieben. Mann verfasste den Roman nicht etwa zu einem Zeitpunkt, wo das Kaiserreich schon Geschichte war und genauere Analysen ermöglichte. Nein, der Roman entstand zur Glanzzeit des Wilhelminismus, nämlich 1906-1914. Der erste Weltkrieg führte aber dazu, dass der komplette Roman erst 1918 veröffentlicht wurde. Die Tatsache, dass Mann Verhältnisse und Strukturen zu einem Zeitpunkt erkannt hat, als er mit dieser Erkenntnis noch sehr allein dastand, erhöht den Wert dieses für die deutsche Geschichte und Literatur unverzichtbare Werk. Für den Leser bleibt nebenbei jedoch ein höchst amüsanter, intelligenter Roman, der Maßstäbe geschaffen hat.

Der Autor

Heinrich Mann wurde 1871 in Lübeck geboren. Nach dem Abbruch des Gymnasiums begann er eine Buchhändlerlehre, ab 1892 Mitarbeit beim Fischer Verlag. Gleichzeitig war er Gasthörer an der Universität und freier Schriftsteller. 1893-1928 unternahm er längerer Aufenthalte, v.a. in Italien, aber auch Paris und München. 1931 wurde er Präsident der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste. 1933 erfolgte der Zwangsauschluss aus der Akademie. Über Frankreich emigrierte Heinrich Mann 1940 in die USA. 1949 erfolgte die Ernennung zum Präsidenten der Akademie der Künste der DDR. Noch vor Amtsantritt verstarb Heinrich Mann 1950 in Santa Monica, Kalifornien. Weltberühmt wurde er vor allem mit der Figur des Professor Unrat und der Verfilmung mit Marlene Dietrich.

Gandalf - myFanbase
17.10.2005

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