Bewertung
Adiga, Aravind

Weiße Tiger, Der

"Free people don't know the value of freedom. That's the problem."

Foto: Copyright: Verlag C.H.Beck oHG
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Inhalt

Heute ist Balram Halwai ein reicher Unternehmer mit einer florierenden Firma. Doch der junge Inder aus Laxmangarh hat auch einmal klein angefangen: Als armer Sohn eines Rickschahfahrers verlebte Balram eine harte Jugend, bis er eines Tages dank seines Einsatzes einen gutbezahlten Job als Fahrer bei einer reichen Familie bekam. Doch dieser Job öffnet ihm langsam die Augen über die Korruption und Ungerechtigkeit im Lande und bald erkennt Balram, der weiße Tiger, dass auch er sich dem unbeugsamen Gesetz des Dschungels beugen muss, wenn aus ihm eines Tages mehr werden soll als ein Diener...

Kritik

Was weiß man als Durchschnittsbürger eigentlich schon über Indien? Viel mehr als Bollywood, Yoga und Mahatma Ghandi wird einem wahrscheinlich nicht einfallen. Doch dass sich hinter dieser Fassade aus erfolgreichen Outsourcing-Unternehmen und strahlenden Filmgesichtern ein Land verbirgt, in dem Korruption an der Tagesordnung ist und die Demokratie mit Füßen getreten wird, das vergessen viele. Der nach Australien emigrierte Finanzjournalist Aravind Adiga widmet sich in seinem Debütroman "Der weiße Tiger" jedoch dieser Schattenseite Indiens und zeigt, wie die aufstrebende Supermacht wirklich ist: arm, dreckig, verwahrlost, verdorben.

Im Zentrum von Adigas Geschichte steht Balram Halwai, einer von vielen, die in der so genannten "Finsternis" leben, in einer der ärmsten Regionen des Landes. Was Balram auszeichnet, ist, dass er es von der Finsternis ins Licht geschafft hat, in den Reichtum, in die schöne, bequeme und korrupte Seite Indiens. In sieben Briefen an den chinesischen Premierminister erzählt er seine Geschichte vom Teemacher zum Start-Up-Unternehmer. Adiga scheut dabei nicht davor, durch seine Figur die Missstände im Land anzuprangern und verschont den Leser weder vor Kraftausdrücken noch vor der Beschreibung von Szenarien, wie man sie tagtäglich in Indien sieht: Obdachlose, die Müll anzünden, um sich warm zu halten; pinkelnde Männer am Straßenrand; die zähe Brühe, die den Ganges hinunterfließt.

Adiga präsentiert mit seinem Protagonisten einen Mann, der über den Tellerrand hinauszublicken vermag, der erkennt, wie die Reichen mit ihrem Geld alle in Schach halten, und der letztlich der Versuchung, reich zu sein, nicht widerstehen kann. Dem Zuschauer wird es verständlich gemacht, wie aus dem armen, naiven Diener ein von der unerbitterlichen Ungerechtigkeit der Stadt korrumpierter Mann wird, der schließlich seine ganze Moral über Bord wirft, um frei zu sein. Balrams Geschichte entwickelt sich über die Zeit hinweg von einer frechen Satire zu einer traurigen Tragödie, stets aber mit einem ordentlichen Schuss Sarkasmus, der das Buch so unterhaltsam macht. Adiga verschönert nichts, verschleiert nichts, sondern richtet den Blick auf einen Mann, der eine außerordentliche, aber tragische Entwicklung durchmacht.

Hat man die letzte Seite dieses Romans gelesen, so wird einem unmissverständlich klar, dass Indien viel mehr ist, als Bollywood, Yoga und Ghandi: Es ist ein Land voller Gegensätze, Licht und Finsternis, Arm und Reich, Tradition und Moderne, Gut und Böse. Balram Halwai schafft es zwar von der Finsternis ins Licht, doch dafür verliert er einen Teil seiner Seele. Ob der es wert war, das kann der Leser am Ende selbst entscheiden.

Fazit

Adiga gewährt dem Außenseiter mit "Der weiße Tiger" einen realistischen Einblick in das heutige Indien. Seine Geschichte und sein pointierter, sarkastischer Schreibstil machen diesen Roman zu einem lesenswerten Stück Literatur.

Maria Gruber - myFanbase
29.01.2009

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