Deadwood - Review
Es gibt eine Handvoll von Serien, deren vorzeitiges Ableben für immer den Verantwortlichen des absetzenden Setzers unter die Nase gerieben werden wird. "Firefly - Der Aufbruch der Serenity" ist eines der berühmtesten Beispiele für eine missratene Sendepolitik, die Fox noch lange vorgeworfen werden wird. Bei "Deadwood" ist die Ausgangssituation zumindest ein wenig anders, und das nicht nur, weil das Westerndrama auf dem US-amerikanischen Pay-TV-Sender HBO ausgestrahlt wurde, der bekanntermaßen weniger auf Einschaltquoten schielt als mit Werbung finanzierte Fernsehsender. Denn nicht nur, dass "Deadwood" im Gegensatz zu "Firefly" sogar akzeptable Einschaltergebnisse vorweisen konnte (wohlgemerkt für HBO-Verhältnisse), eine offizielle Absetzung gibt es darüber hinaus bis zum heutigen Tage nicht. Dennoch sind die Chancen, dass nach 36 Episoden noch weitere hinzukommen, bei Null, was vor allem wirtschaftliche Gründe hat.
Neben den vergleichsweise hohen Produktionskosten (Schätzungen gehen von ca. 60 Millionen US-Dollar pro Staffel aus) werden vor allem die mangelnden Möglichkeiten der internationalen Vermarktung aufgrund eines Exklusivvertrags von Serienschöpfer David Milch mit Paramount Pictures der Serie das Genick gebrochen haben sowie der Umstand, dass sich HBO kurz zuvor mit der historischen Dramaserie "Rome", die fast das Doppelte kostete wie "Deadwood", schlichtweg finanziell übernahm. Und damit war nach insgesamt drei Staffeln Schluss für "Deadwood", obwohl zunächst eine vierte Staffel bestätigt wurde und später, als die Lage bereits wenig rosig war, zumindest zwei Filme, die die auf vier Staffeln ausgelegte Handlung hätten abschließen sollen. Nicht nur die Absetzung einer absoluten Ausnahmeserie, der auch heute noch national wie international allerhöchster Respekt entgegen gebracht wird, hat HBO in eine echte Vertrauenskrise geritten, von der man sich auch heute noch nicht vollständig erholen konnte. Vor allem die Art und Weise, wie man Fans und Darstellern gleichermaßen erst falsche Hoffnungen machte und sie dann völlig verspätet halbherzig darüber unterrichtete, dass eine Fortsetzung mehr als nur unwahrscheinlich ist, war enttäuschend.
"Every fucking beating, I'm grateful for. Every fucking one of them. Get all the trust beat outta you and you know what the fuckin' world is."
Irgendwie ist es schon bezeichnend, wenn eine Westernserie dermaßen für Furore sorgt, war das gesamte Westerngenre doch derart ausgeschlachtet worden in den vergangenen Jahrzehnten, dass sich niemand mehr in der heutigen Zeit so recht traute, sich dem Setting anzunehmen. David Milch, der sich zuvor vor allem durch seine Arbeit als Serienmacher der legendären Polizeiserie "NYPD Blue" (sieben Emmy Awards, vier Golden Globes) einen Namen machte, sowie HBO jedoch hatten den Mut, dem Westerngenre eine angemessene Repräsentation in der Welt der TV-Serien zu schaffen. Dies gelang durch eine im Grunde simple Formel, an deren Anwendung jedoch auch heute die Mehrzahl der angesagtesten Serien scheitert: hochinteressante Charaktere und ihre faszinierenden Beziehungen untereinander, Dialoge mit einer nicht für möglich gehaltenen Wucht und Bedeutungskraft, sagenhafte Darstellern und eine bisher nur sehr selten in ähnlicher Form da gewesene Form von Realismus.
Manchmal möchte man fast meinen, dass der Begriff "Charakterdrama" für Serien wie "Deadwood" geradezu erfunden wurde. Neben den Hauptcharakteren besteht der gesamte Cast aus Figuren, die realer und gleichermaßen facettenreicher kaum sein könnten. Selbst wenn der alles überstrahlende Al Swearengen nicht Teil einer Szene war, führte das nie dazu, dass die Faszination für die Serie dadurch schwinden konnte, weil auch der auf den ersten Blick unwichtigste Charakter durch einen Nebenplot oder manchmal auch nur eine vermeintlich unscheinbare Tat der gesamten Handlung eine entscheidende Wendung geben konnte. So entwickelte sich trotz der vielen realen Vorbilder, an denen sich das Drehbuch orientierte, eine erfrischende Unvorhersehbarkeit und Spannung, da letzten Endes praktisch jeder Charakter auf die eine oder andere Art gefährdet war. Die Gestaltungsmöglichkeiten waren zwar im Grunde eingeschränkt durch die realen Ereignisse im echten Deadwood, an die sich Milch in Eckpunkten immer hielt, dennoch war es mitnichten so, als ob dadurch die unzähligen Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb dieses Rahmens vorhersehbar gewesen wären. Zudem ist es ein Balanceart sondergleichen, die echten Al Swearengens, Sol Stars, Calamity Janes, Wyatt Earps, E. B. Farnums, Charlie Utters, George Hearsts oder Wild Bill Hickoks zum einen so realitätsgetreu wie möglich darzustellen und zum anderen durch sinnvolle und dramaturgisch wichtige fiktionale Einschübe derart zu ergänzen, dass sie nicht so langweilig und einseitig wirken, wie dies bei Dokumentationen, die lediglich die Realität abbilden, manchmal der Fall ist.
"Pain or damage don't end the world, or despair, or fuckin' beatings. The world ends when you're dead. Until then, you got more punishment in store. Stand it like a man — and give some back."
Die realen Vorbilder mit Leben zu erwecken, war vor allem die Aufgabe eines Casts, der talentierter kaum hätte sein können. Bis in die letzte Nebenrolle war die Besetzung tadellos. Auch jetzt, knapp vier Jahre nach der Absetzung, erinnert man sich wohlwollend an einige Charaktere und all ihre Eigenheiten zurück, als ob sie vor einem stehen würden, was der perfekten Charakterzeichnung zu verdanken ist, die eine denkwürdige Figur nach der anderen hervorbrachte sowie den Darstellern, die ihnen Leben einhauchten. Man könnte an dieser Stelle mindestens die Hälfte des Casts aufzählen und käme doch immer wieder zu dem Schluss, dass sie ihre Sache nicht besser hätten machen können. Man könnte sogar insbesondere noch Timothy Olyphant und Powers Boothe herausstellen und von Pech reden, dass sie derart eindrucksvoll schauspielerten und dennoch im Schatten eines Mannes standen – Ian McShane, der einzige Darsteller, der für seine Rolle in "Deadwood" auch tatsächlich eine der viel zu wenigen Auszeichnungen erhielt. In jeder anderen Serie wären Olyphant und Boothe die absoluten Stars (ersterer hat dies mit seiner neuen Serie "Justified" nun glücklicherweise geschafft), doch McShane spielt wie von einem anderen Planeten. Nicht umsonst gilt sein Schauspiel als mit am besten, was es je in einer TV-Serie gab. Man kann nur hoffen, dass er nach dem Misserfolg von "Kings" einen weiteren Anlauf im TV wagt (am besten direkt bei einem Kabelsender) und sich nicht auf Engagements als Synchronsprecher oder Nebenrollen in Kinofilmen konzentriert.
Ein wichtiger Faktor, der "Deadwood" in der Folge zu einer gehörigen Portion an Aufmerksamkeit und Lob verhalf, war die Sprache. David Milch wollte diese genauso realistisch gestalten wie den Rest der Serie, musste jedoch schnell einsehen, dass die zur damaligen Zeit sehr blasphemische Sprache regelrecht komisch gewirkt und der Serie so einiges an Ernst und Glaubwürdigkeit genommen hätte. Daher entschied er sich für eine vulgäre Ausdrucksweise vor allem der Hauptcharaktere, die eine ähnliche Wirkung auf die Zuschauer hat wie die gotteslästerliche Sprache um das Jahr 1870 auf die damals Beteiligten. Damit war das Gesprochene ein weiterer Bestandteil zur möglichst detailgetreuen und realistischen Erzählung der damaligen Ereignisse und entwickelte dennoch wie kaum ein anderer eine Eigendynamik innerhalb der Anhängerschaft, die so weit ging, dass die Nutzung des Worts "fuck" mitgezählt wurde. Allein 43 Mal fiel der Ausdruck in der Pilotfolge, insgesamt waren es über die drei Staffeln 2.980 Male, was insgesamt 1,56 fpm ("fucks per minute") entsprach. Doch nie ging der Fokus zu sehr in Richtung Zählung all der Profanitäten, sondern vielmehr in den Genuss der perfekten Pointierung und Wucht der Dialoge, die teilweise zu einem Punkt führten, an dem der Zuschauer schon fast vergaß, was gerade eigentlich geschah, da er genug Gefallen daran fand, einfach nur den Schauspielern in ihrer unnachahmlichen Art zu reden zuzuhören.
Als wäre all dies nicht genug, war "Deadwood" darüber hinaus auch noch eine Studie darüber, wie sich Zivilisation aus Chaos heraus entwickelt, was man sowohl an dem geltenden Gesetz und dessen Ausübung als auch an der immer wichtiger werdenden Politik, dem Einzug des westlichen Kapitalismus, der Architektur oder der gänzlich unterschiedlichen Haltung zum eigenen Geschäftsbetrieb und den Mitteln, diesen aufrecht zu erhalten, über den gesamten Zeitverlauf eindrucksvoll sehen konnte. Dazu kommen so essentielle Themen wie Rasse, Immigration oder Prostitution, die immer wieder angeschnitten wurden.
Und damit bleibt als Schlusssatz eine der vielen unvergesslichen Aussagen von Hauptcharakter Al Swearengen, die genauso gut als Anweisung gelten könnte, wie man mit dem Verlust dieser legendären Serie fertig werden könnte, jedoch mit dem deutlichen Hinweis, dass die letzten fünf Worte unwahrer nicht sein könnten.
"Don't be sorry, don't look fuckin' back, because believe me, no one gives a fuck!"
Andreas K. - myFanbase
Zurück zur "Deadwood"-Übersicht
Links
Meistgelesen
Aktuelle Kommentare
25.11.2025 19:51 von chili.vanilli
Malice: Malice
Hab die Serie jetzt beeendet und schon lange keinen so... mehr


28.11.2025 00:19 von Sonia
F.B.I.: F.B.I.
Es wird immer abstruser... Jetzt sehe ich, dass die FBI... mehr