The Chicago Code - Review des Piloten

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Früher oder später muss der Vergleich ohnehin kommen, also bringen wir es am besten gleich hinter uns: Shawn Ryans neues Werk "The Chicago Code" ist genauso eine Copserie wie "The Shield", eben jenes Drama, das wie kaum ein anderes die eigenen moralischen Vorstellungen auszuloten versuchte und einen soziopathischen Hauptcharakter installierte, den man trotzdem sympathisch finden konnte. Nachdem letztere Serie von den Kritikern Staffel für Staffel in den Himmel gelobt wurde, waren die Erwartungen entsprechend hoch, als klar wurde, dass er eine neue Serie an den Start bringt, die auf den ersten Blick relativ ähnlich klingt. Ryan muss daher mal so eben der Drahtseilakt gelingen, ein Serienuniversum zu schaffen, das eigenständig genug ist, damit man ihm nicht vorwerfen kann, dass er nur versucht, eine gelungene Idee zu kopieren. Gleichzeitig wäre es fahrlässig, das Rad neu erfinden zu wollen, wo sich doch so viele Elemente auf die eine oder andere Art und Weise in eine neue Serie übertragen lassen können. Lediglich bereits im Vorfeld klar ist, dass "The Chicago Code" mit weniger Unflätigkeiten und Gewaltexzessen als "The Shield" auskommen muss, weil sich Ryan damals auf einem Kabelsender schlichtweg mehr erlauben konnte.

Da passt es natürlich wunderbar, dass Hauptcharakter Wysocki gleich am Anfang meint, er würde keine obszöne Ausdrucksweise akzeptieren. Damit wäre das schon vom Tisch. Denn Wysocki macht von der ersten Minute an den Eindruck, als sollte man ihm besser keinen Wunsch wie diesen ausschlagen. Nicht nur, weil er ein allzu freizügiges Mundwerk schon auch mal als Grund sieht, um seine Partner zum wiederholten Mal zu tauschen, sondern auch, weil er die Art von Polizist ist, die einem das Leben zur Hölle machen können, wenn er sich dann mal in etwas verbissen hat. Natürlich ist es ein wenig klischeebeladen, abermals einen Cop in einer Serie zu sehen, der sich auch gern mal über Grenzen hinwegsetzt, schwierig im Umgang sein kann und gleichzeitig geradezu genial in seinem Job ist. Aber wenn man in einem Piloten nicht die Grundlagen für einen Charakter legen darf, der mit der Zeit hoffentlich und höchstwahrscheinlich deutlich mehr Facetten erhält, wann dann? Wysocki-Darsteller Jason Clarke ist ja auch weiß Gott kein untalentierter Schauspieler, wie er nicht zuletzt eindrucksvoll in der Mafiaserie "Brotherhood" durch seine nuancierte Performance bewies.

Doch der Fokus wird vor allem auf Jennifer Beals als Superintendant Colvin liegen, die aufgrund ihres Postens die Befehlsgewalt über jeden einzelnen Polizisten in Chicago hat. Wenn man sich in kürzester Zeit bis zu dieser Machtposition hocharbeitet, muss man schon fast zwangsläufig ein entsprechend kompromissloses Auftreten pflegen. Überraschend ist es also nicht, wie sehr versucht wird, sie bereits in der Pilotfolge als tough zu etablieren, denn so muss sie schlicht und ergreifend sein, um als mächtigste Frau in einem immer noch überwiegend von Männern dominierten Berufsfeld zu überleben. Es ist evident, dass es genauso langweilig und vorhersehbar wäre, sie lediglich auf das zu reduzieren, weswegen sie durch ihre aufrichtige Freundschaft mit Wysocki und ihre Reaktion am Ende der Episode andere Seiten an sich zeigen kann. Und dann gäbe es da noch Matt Lauria ("Friday Night Lights") als Caleb Evers, den jungen und unerfahrenen Cop, den es wohl immer mal wieder in Serien ähnlichen Formats braucht (man erinnere sich jüngst nur an "Southlands" Ben Sherman (Benjamin McKenzie)), um dem Zuschauer einen unvoreingenommenen und unverbrauchten Blick in die teils kruden Strukturen der Polizei zu ermöglichen, den man an der Seite von alteingesessenen Veteranen im Normalfall nicht hätte.

Damit wären bis auf eine Ausnahme die drei wohl wichtigsten Charaktere der Serie abgedeckt, die in ihren Eigenschaften alle zugegebenermaßen nicht sonderlich neuartig wirken, aber eine Pilotfolge ist dazu da, im ersten Schritt jeden auf seine auffälligsten Merkmale zu reduzieren. Daher war diese Herangehensweise auch im Hinblick auf die Zugeständnisse, die man an ein Publikum wie das von FOX machen muss, durchaus verständlich. Gleichzeitig schimmert in so manchen Szenen bereits jetzt der Anspruch von Ryan durch, die etwas andere Copserie zu erschaffen und sich vergleichsweise schnell von den stereotypischen Konstellationen weg zu bewegen. Die oben angesprochene Ausnahme bildet die Stadt Chicago selbst. Man merkt, wie sehr Ryan, der selbst in der näheren Umgebung aufwuchs, immer wieder versucht, Chicago in Szene zu setzen, auch weil er bisher das Gefühl hatte, dass sie im Medium TV stark unterrepräsentiert war (trotz "Good Wife" oder "Shameless"). Er legt darauf Wert, dass auch tatsächlich in Chicago gedreht wird, um die unbestritten einmalige Schönheit der Stadt auch dem Zuschauer näher zu bringen. Dabei geht er einen gänzlich anderen Weg wie noch bei "The Shield" und verzichtet bis auf sehr wenige Ausnahmen auf wacklige Handkameraeinstellungen, auch weil er immer bestrebt ist, in weitläufigeren Aufnahmen das Drumherum einzufangen und so bereits jetzt das Erzähluniversum auch optisch zu erweitern.

Um dem Zuschauer den Einstieg kurzfristig zu erleichtern, entschied man sich für Voice-Over als Erzählelemente, die in Kurzform darüber Aufschluss geben, aus welchen Verhältnissen die einzelnen Charaktere kommen und warum sie heute so sind, wie sie sind. Für einen Piloten war das genau das Richtige, danach muss durchaus die Frage erlaubt sein, ob es Sinn macht, Voice-Over weiterhin einzusetzen, auch weil sie mit zunehmender Zeit zu einem nervtötenden Statement über das Offensichtliche verkommen können (siehe "Dexter"). Langfristig hat man mit "The Chicago Code" ein Procedural mit Serial-Elementen vor sich, also wöchentlichen Fällen und dem roten Faden im Hintergrund, der immer wieder aufgenommen wird, um die Story voranzutreiben. Auch dies ist als Zugeständnis zu sehen, das man einfach machen muss, wenn man für einen Sender eine Serie entwickelt, der von einer möglichst großen Zuschauerschaft abhängig ist. Glücklicherweise kann man aber auch dann unvorhersehbar und frisch wirken sowie Dialoge einbauen, die aufgrund des echten Chicago Akzents (Jason Clarke als Australier versucht wirklich alles, um seine Herkunft sich nicht anmerken zu lassen) realistisch und gleichzeitig eloquent und witzig sind.

Fazit

Auf den ersten Blick wirkt "The Chicago Code" wie eine Serie, die man schon unzählige Male gesehen hat. Wagt man jedoch einen Blick hinter das Offensichtliche, so erkennt man schnell ein Werk, das unheimlich viel Potential bietet, angefangen bei vielschichtigen Charakteren, die einen innerhalb kürzester Zeit ins Geschehen ziehen und nicht mehr raus lassen, einem nicht nur optisch ansprechenden Bildnis einer wunderschönen Stadt, Twists, die man tatsächlich vielleicht mal nicht kommen sieht und einem Anspruch an Realismus, der Aussetzer nicht zulässt. Man kann also nur hoffen, dass die Serie eine ausreichende Anzahl an Staffeln erhält, um die Welt um sich herum zu erkunden und den Zuschauer daran teilhaben zu lassen.

Andreas K. - myFanbase

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