1899 - Review #1.01 - #1.06

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In der Serienwelt sind viele Genre vertreten, doch keines ist so umstritten wie die Mystery-Sparte. Wann ist eine Serie mystisch genug? Wann fehlt ihr das gewisse Etwas? In jeder TV-Season treten neue Mystery-Serien an den Start, doch nur wenige können tatsächlich überzeugen und an den einstigen Erfolg von beispielsweise "Lost" heranreichen.

Die Serie "1899" ansehen:

Foto: Emily Beecham, 1899 - Copyright: 2022 Netflix, Inc.
Emily Beecham, 1899
© 2022 Netflix, Inc.

Es ist jetzt fünf Jahre her, dass sich mit "Dark" eine deutsche Serie in die Herzen der Fans zu spielen versuchte und ich für meinen Geschmack kann sagen, dass dies ein erfolgreiches Projekt war. "Dark" folgte den Bewohnern einer kleinen deutschen Stadt, die auf den ersten Blick als ganz normal durchgeht, doch plötzlich tut sich ein Mysterium auf und man taucht ein in eine Welt voller Zeitreisen, Verschwörungen und verstrickter Familienkonstellationen. "Dark" war ein großer Erfolg für Netflix und erzählte seine Geschichte in drei Staffeln, von denen jede komplizierter als die letzte war, weshalb man beim Staffelfinale immer erst einmal mit den Augen rollte, doch schlussendlich gipfelte die Serie in einem zufriedenstellenden Finale. Als ich daher hörte, dass die Dark-Macher Jantje Friese und Baran bo Odar mit "1899" eine neue Mystery-Serie auf die Beine stellen wollen, war mein Interesse sofort geweckt, denn so eine komplexe Geschichte wie die von "Dark" würde ich gern noch einmal ergründen.

Foto: 1899 - Copyright: 2022 Netflix, Inc.
1899
© 2022 Netflix, Inc.

Bei "1899" handelt es sich um eine groß angelegte Ensemble-Serie, die im Jahr 1899 auf einem Schiff spielt, das von Europa nach Amerika unterwegs ist. An Bord befinden sich mehr als 1500 Seelen und auch wenn wir nur einen Bruchteil der Figuren wirklich kennenlernen, so hat man doch das Gefühl, einem gigantischen Cast zu begegnen. Auf dem Schiff befinden sich Menschen verschiedenster Nationalitäten und ein Großteil der zentralen Figuren reist erster Klasse. Dazu zählen der wohlhabender Spanier Ángel (Miguel Bernardeau) mit seinem angeblichen Bruder und Priester Ramiro (José Pimentão), dann das frisch verheiratete französische Ehepaar bestehend aus Clémence (Mathilde Ollivier) und Lucien (Jonas Bloquet), die beiden Britinnen Maura (Emily Beecham) und Virginia (Rosalie Craig) und die beiden Chinesinnen Ling Yi (Isabella Wei) und Yuk Je (Gabby Wong), die sich allerdings als Japaner ausgeben. Wir werfen auch einen Blick unter Deck und lernen die dänische Familie, bestehend aus dem Priester Anker (Alexandre Willaume), seiner tiefgläubigen Frau Iben (Maria Erwolter) sowie ihren Kindern Krester (Lucas Lynggaard Tønnesen) – mit einer geheimnisvollen Narbe im Gesicht – der schwangeren Tove (Clara Rosager) und der kleinen Ada kennen. Auch der Franzose Jérôme (Yann Gael) ist in die Geschichte verwickelt. Von der Schiffscrew stehen der deutsche Kapitän Eyk Larsen (Andreas Pietschmann), der deutsche Steuermann (Tino Mewes), der deutsche Arbeiter Franz (Isaak Dentler) sowie der polnische Heizer Olek (Maciej Musiał) im Vordergrund. Das erscheint auf den ersten Blick sehr viel, die meiste und fesselndste Handlung findet allerdings zwischen lediglich zwei Figuren statt und zwar zwischen dem Kapitän und Maura.

Foto: Isabella Wei, 1899 - Copyright: 2022 Netflix, Inc.
Isabella Wei, 1899
© 2022 Netflix, Inc.

Gleich zu Beginn der Geschichte wird ein zweites Schiff ins Blickfeld gerückt, denn vor vier Monaten ist die Prometheus, die sich auf der gleichen Route befand, spurlos verschwunden. So erscheint es als kein Zufall, als die Kerberos noch vor dem Ende der ersten Episode ein Signal von dem verschwundenen Schiff empfängt. Der Kapitän beschließt sofort, dem nachzugehen und so entfaltet sich das erste Mysterium der Geschichte. Denn als die Kerberos die Prometheus findet, ist das Schiff vollkommen verlassen und es gibt einen Hinweis darauf, was mit den mehr als Tausend Menschen geschehen ist, die sich an Bord befunden haben. Ein weiteres Fragezeichen tut sich mit dem im Schrank versteckten Jungen auf, der das einzige Lebewesen an Bord der Prometheus zu sein scheint und dessen Funktion man noch mehr in Frage stellt, als er kein einziges Wort von sich gibt und stattdessen nur eine mysteriöse Pyramide in den Händen hält. Man beginnt nun also zu rätseln, was es mit dem Schiff auf sich hat und stößt dabei in einer Szene nach der anderen auf die geheimnisvollen Dreiecke, die man entweder auf dem Kimono der falschen Geisha, an den Ohrringen der Französin oder zum Beispiel auf dem Briefumschlag von Maura und dem Kapitän findet.

Foto: Lucas Lynggaard Tønnesen, 1899 - Copyright: 2022 Netflix, Inc.
Lucas Lynggaard Tønnesen, 1899
© 2022 Netflix, Inc.

Die geheimnisumwobene Stimmung breitet sich immer weiter aus und man hangelt sich ein wenig an den Figuren entlang, um sie in die Geschichte miteinzubinden. Bereits in den ersten Minuten der Serie fällt die Düsternis der Serie auf, die nicht nur die Optik von "1899" bestimmt, sondern auch den Gemütszustand. Jede Figur scheint eine große Last zu tragen, niemand von ihnen ist auch nur ansatzweise glücklich oder wagt es gar zu lächeln. Das nimmt man zu Beginn erst einmal so hin, doch im Verlauf der Serie empfand ich diese bedrückende Stimmung als übermächtig und sie mindert das Sehvergnügen, da überall nur Trauer, Frucht und Angst zu herrschen scheint. Die Figuren wirken einsam und verloren, was sich noch dadurch zuspitzt, dass sie allen unterschiedlichen Nationalitäten angehören. Denn dadurch sprechen sie die verschiedensten Sprachen und es ist beinahe unmöglich, sprachliche Barrieren zu überwinden oder sich wirklich miteinander auszutauschen. Dies ist tatsächlich ein Punkt, den ich als sehr schade empfunden habe, denn im Vergleich zu "Dark", das von bedeutungsschweren Worten und Gesprächen lebte, ist es den Figuren in dieser Serie unmöglich, wirklich aufeinander einzugehen. Selbst wenn jemand zu einer Erklärung ausholt, so reagiert der Gegenüber dann doch nicht, weil er partout nichts verstanden hat. Die Dialoge sind daher sehr einseitig, lediglich zwischen Maura und dem Kapitän gibt es einen Austausch.

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Foto: Fflyn Edwards, 1899 - Copyright: 2022 Netflix, Inc.
Fflyn Edwards, 1899
© 2022 Netflix, Inc.

Kommen wir nun zum Mysterium der Geschichte. Es war bereits in "Dark" schwer fassbar, worum die Serie sich nun eigentlich dreht, doch nach ein paar Episoden hatte man dann das Gefühl, dem Geheimnis langsam auf der Spur zu sein. Es machte dabei nichts, dass man mit jedem Schritt, dem man der Lösung näherkam, mehr Facetten aufdeckte. Dieses Gefühl der Befriedigung, weil man die Serie zu verstehen beginnt, hat sich bei mir bisher nicht eingestellt und dass, obwohl Netflix sechs der acht Episoden der ersten Staffel vorab als Presse-Screener zur Verfügung gestellt hat. Man stellt viele Vermutungen an, doch so richtig Sinn ergibt keine davon: ist es wieder eine Zeitreise? Tauchen die Menschen manchmal in Erinnerungen ab, oder ist das eine Simulation? Werden einige der Figuren "ferngesteuert"? Sind überhaupt alle echt? Was haben die Figuren, die im Vordergrund stehen, miteinander gemein? Warum wurden sie ausgewählt? Spätestens nach der vierten Episode war ich sehr frustriert, da man nicht voranzukommen scheint und stattdessen nur in der trüben Stimmung der Charaktere dahindümpelt.

Foto: Alexandre Willaume, Maria Erwolter & Clara Rosager, 1899 - Copyright: 2022 Netflix, Inc.
Alexandre Willaume, Maria Erwolter & Clara Rosager, 1899
© 2022 Netflix, Inc.

Unwillkürlich stellt man im Verlauf der Serie immer wieder Vergleiche zu "Dark" an, was wahrscheinlich Segen und Fluch zugleich ist. Denn ich weiß noch gut, dass ich auch bei "Dark" manchmal missmutig angesichts einer Sackgasse war, weshalb ich die Hoffnung nicht aufgeben möchte, dass die letzten beiden Episoden mit Wendungen und Erklärungen dann doch das Mysterium gut aufzulösen wissen. Indes fallen viele Parallelen in der Machart und den verwendeten Attributen der beiden Serien auf. Bei "Dark" deckte man die Zusammenhänge zwischen den Figuren schrittweise auf und legte uns ihre Geheimnisse offen, genauso handhabt man es auch bei "1899", denn mit jeder neuen Episode dürfen wir eine der Figuren etwas besser kennenlernen. Worüber ich ein wenig schmunzeln musste, war der geheimnisvolle Apparat an Bord des Schiffes, der mich sofort an den Zeitreiseapparat aus "Dark" erinnerte. Es gibt jedoch noch weitere mächtige Erfindungen, wie den Käfer und die advanced Version von vier gewinnt, mit der man wer weiß was anstellen kann. Von beiden Erfindungen war ich nicht sonderlich überzeugt, da es mir eigenartig erscheint, dass man so viele mächtige Gegenstände braucht, um die Handlung in die gewünschte Richtung zu lenken. Sie dienen dazu, sich immer ein Hintertürchen offen zu halten – und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Foto: Anton Lesser, 1899 - Copyright: 2022 Netflix, Inc.
Anton Lesser, 1899
© 2022 Netflix, Inc.

Eine Frage, die sich mir ebenfalls aufgedrängt hat, ist die nach der Namensgebung der Schiffe. Beides sind Figuren aus der griechischen Mythologie. Bei Prometheus handelt es sich um ein Titan, der im Deutschen als "Der Vorausdenkende" bezeichnet wird. Dieser versuchte sich dem Göttervater Zeus zu widersetzen, woraufhin er an einen Felsen gekettet wurde. So gefesselt kam regelmäßig ein Adler vorbei und hackte ihm die Leber aus dem Leib, die immer und immer wieder nachwuchs. Nach langer Zeit wurde er schließlich von Zeus begnadigt. Bei Kerberos wiederum handelt es sich um einen Dämon aus der Grube, der die Unterwelt bewacht in Gestalt eines Hundes mit – meist – drei Köpfen. Beide Figuren haben etwas Düsteres an sich, was gut zur Serie passt, doch lässt sich aus ihren Geschichten irgendwie auf die Handlung von "1899" schließen?

Foto: Aneurin Barnard, Emily Beecham & Andreas Pietschmann, 1899 - Copyright: 2022 Netflix, Inc.
Aneurin Barnard, Emily Beecham & Andreas Pietschmann, 1899
© 2022 Netflix, Inc.

Zum Ende der zweiten Staffelhälfte hin hat man den Eindruck, langsam – ganz langsam – erahnen zu können, worauf die Geschichte vielleicht abzielen könnte. Doch dieser Verdacht beschränkt sich – in meinen Augen – lediglich auf Maura. Zwar ist es gut, eine Protagonistin zu haben, die Schritte nach vorne macht und dem Geheimnis auf der Spur ist – ganz so wie es Jonas in "Dark" tat – doch es stört mich sehr, dass die anderen Figuren dabei unter den Tisch fallen gelassen werden. Denn bis zum Ende der sechsten Episode hatte ich nicht den Eindruck, eine Verbindung zwischen ihnen ausmachen zu können, die ihrer aller Anwesenheit an Bord des Schiffes erklärt.

Fazit

Was lässt sich nun abschließend zu den ersten sechs Episoden von "1899" sagen? Ich muss gestehen, dass ich äußerst zwiegespalten bin. Man lässt sich sehr viel Zeit damit, den Zuschauer tiefer blicken zu lassen, was spätestens zur Staffelhälfte ernüchternd ist. Andererseits bleibt ein Funken Hoffnung darauf, dass doch noch alles Sinn ergeben kann. Was einen bei der Stange hält, ist das Ensemble, das so viele interessante Ecken und Kanten hat, die man gern erkunden und in den richtigen Zusammenhang setzen möchte.

Marie Müller - myFanbase

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