Bewertung

Review: #6.17 Momente der Wahrheit

In Zeiten von Kinofilmen in Videoclipästhetik und Bild- und Szenenwechsel, die vom Zuschauer kaum wahrzunehmen sind, wagt sich "One Tree Hill" an die komplette Entschleunigung und erzählt jeden Handlungsstrang dieser Folge für sich. Statt Reizüberflutung gibt es deshalb Emotionalität und Intensität en masse, vor allem da es nach Wochen der fast uneingeschränkten Harmonie mal wieder richtig viel Drama gibt: Mouth und Millie stehen vor den Scherben ihrer Beziehung, während die von Julian und Brooke schon in der Anfangsphase ins Stocken gerät. Dan und Deb können die Vergangenheit nicht ruhen lassen und Lucas und Peyton müssen eine schwere Entscheidung treffen.

It is okay for you to love this baby, it doesn’t mean that you don’t love me!

Eigentlich war es nach dem fast spurlos überstandenen Auftauchen von Julian klar, dass das Leyton-Glück demnächst ein paar Risse bekommen würde – aber dass ausgerechnet ihr Baby, quasi die Krönung dieser Beziehung, der Grund dafür sein könnte, dass es kein Happy End für die beiden gibt, ist dann doch ein Dilemma der besonders tragischen Art. Zugespitzt wurde die Story natürlich noch durch das liebevoll eingerichtete Kinderzimmer, das Lucas Peyton genau in dem Moment präsentieren will, in dem ihre plötzlich einsetzenden Unterleibsschmerzen alle Träume der beiden zerplatzen lassen. Man erfährt zwar nicht, welche Komplikationen die Schwangerschaft so gefährlich machen, dafür aber die gefährliche Konsequenz, dass Peyton während der Schwangerschaft oder der Geburt sterben könnte.

Beide stehen natürlich völlig unter Schock und müssen jetzt doch die Entscheidung treffen, ob sie das Baby abtreiben oder behalten. Die Rollenverteilung bei der Argumentation ist klassisch: während Peyton sich nicht vorstellen kann, das in ihr wachsende Leben wieder zu verlieren, ist es für Lucas noch schlimmer, sich ein Leben ohne Peyton als ohne das Kind vorzustellen, und er drängt sie zu einer Abtreibung. Auch wenn Lucas dabei natürlich weniger Sympathien davonträgt, muss man doch auch im Hinterkopf behalten, dass Karen damals bei Lilys Geburt fast wegen einer Schwangerschaftsvergiftung gestorben wäre und für Lucas demnach der negative Ausgang der Schwangerschaft mit Peytons Tod präsenter ist, als die Freude über das Kind.

Deshalb hat es mir gut gefallen, dass Peyton trotz aller Argumente Lucas’ Zweifel nicht so nachhaltig aus dem Weg räumen kann, wie es das Strampeln ihres Babys in Peytons Bauch vermag, das die ganze künstlich aufgebaute Distanziertheit von Lucas zu seinem Kind zusammenbrechen lässt. Und da ich mich sonst immer über Chad Michael Murrays Over Acting aufrege, will ich jetzt auch mal positiv anmerken, dass er in dieser Folge bis auf winzige Ausnahmen angenehm zurückhaltend gespielt hat und beide Schauspieler zumindest für mich die Tragik und Zerrissenheit der Situation überzeugend dargestellt haben. Einzige Schwachstelle dieser Storyline: das etwas zu kitschige Gerede über das Schicksal und dass Lucas und Peyton nur zusammen gekommen sind, um dieses Leben in die Welt zu setzen – das ist dann selbst für fiktive Figuren vielleicht doch etwas zu hoch gegriffen.

It’s not just about you forgiving me! I have to forgive myself and I can’t do that if I am seeing you every day.

Dass Millie und Mouth noch einmal aufgegriffen wurden, hat mich ehrlich gesagt etwas verwundert, da für mich die Beziehung mit #6.14 A Hand To Take Hold of the Scene eigentlich beendet war. Letztendlich war es dann allerdings ein traurig-schöner endgültiger Schlussstrich, der das Ende der Beziehung doch noch genauer analysiert hat, anstatt Millie die Alleinschuld zuzuschieben – wobei ich es ja doch etwas lustig fand, dass Mouth erst durch seine Telefonrechnung kapiert hat, dass er Gigi gegenüber vielleicht etwas zu offen war; das merkt man auch nicht daran, dass Gigi von Millie in ihrem Bett erwischt wird…

Die Geschichte der beiden in dieser Folge hatte weniger die verzweifelte Tragik der Lucas/Peyton-Storyline, sondern vielmehr eine resignierende Tragik, die deshalb allerdings nicht weniger zu Herzen gehend war. Obwohl sich beide sagen, dass sie sich noch lieben, reicht es doch nicht aus, um ihre Beziehung wieder zu erneuern, nicht weil Mouth Millie keine Chance mehr gibt, sondern weil sie sich selbst nicht verzeihen kann. Ein großes Kompliment für die Drehbuchautoren für diesen ehrlichen und wirklichkeitsnahen Dialog, denn so traurig es auch ist, dass dieses süße Paar keinen zweiten Anlauf mehr bekommt, so konsequent ist es doch auch für beide Figuren, genau so zu handeln. Allerdings sollte das Kapitel Mouth und Millie damit bis auf Weiteres abgeschlossen sein, weil ein plötzliches Einlenken von Millie diese tolle Szene nachträglich total zerstören würde.

You wanna dream? Let’s dream big!

Zwischen all den Dramen ist noch ein kleines Fleckchen Harmonie übrig, allerdings nicht in Tree Hill, sondern in Charleston. Haley überrascht Nathan an ihrem Hochzeitstag mit einem Besuch und jeder Menge Plänen, da in ihr durch die Suspendierung vom Schuldienst der Wunsch nach einer Veränderung in ihrem Leben gereift ist. Während Haley nur mit dem Gedanken spielt, nach Charleston zu ziehen, damit Nathan mehr Zeit mit seiner Familie verbringen kann, packt Nathan gleich die ganz großen Träume aus: Haley soll endlich wieder auf Tour gehen und nicht seinetwegen darauf verzichten. An sich natürlich eine gute Idee, vor allem da es seit ihrer Paar-Therapie immer der Pakt war, dass beide ihren Leidenschaften nachgehen, aber sowohl ein Umzug nach Charleston, als auch eine Tournee würden sich nun mal so gar nicht mit dem Titel der Serie vertragen… Deshalb bin ich mal gespannt, inwiefern die beiden nun ihre Zukunftspläne umsetzen, oder vielmehr: wieso sie sie vermutlich nicht umsetzen können und ob dabei vielleicht der Plan, alle Räume mit Babys zu füllen eine Rolle spielt.

Von diesen interessanten Ansätzen für die nächsten Folgen abgesehen war diese Episode die einzige, der eine Unterbrechung vielleicht ganz gut getan hätte, weil diese geballte Ladung Harmonie in einer Folge voller Drama etwas langweilig war. Vor allem, weil es in dieser Staffel schon romantischere Szenen der beiden gab, wie zum Beispiel in #6.02 One Million Billionth of a Millisecond on a Sunday Morning am Rivercourt und ich mir vom Hochzeitstag der beiden dann doch etwas mehr erwartet hätte als die Gewissheit, dass Nathan und Haley so schnell nichts trennen kann – das kann nicht mal Dan leugnen: "If there’s one thing I know it’s that your Mom and Dad are gonna make it all the way to the finish line." Es wäre vielleicht ganz gut gewesen, die Szenen von Nathan und Haley aufzuteilen und zwischen die anderen Episoden zu schieben, um einerseits das Übermaß an Drama der übrigen Geschichten aufzulockern und gleichzeitig die Harmonie nicht zu zuckersüß werden zu lassen. Wobei dem auch Nathan überraschend lustig mit "in bed" und "phone sex" entgegen gewirkt hat…

You choose whether or not you open your heart to love.

Die neben Lucas und Peyton interessanteste und intensivste Geschichte hatten zweifellos Brooke und Julian, weil man als Zuschauer beide Figuren aufgrund ihrer Vergangenheit so gut nachvollziehen kann und trotzdem beide am Liebsten schütteln würde, weil keiner auf den anderen wirklich eingeht. Nachdem es in jeder Folge seitdem die beiden zusammen sind zu kleineren Krisen mit Versöhnung am Schluss kam, haben wir nun zum ersten Mal ein Ende, das die beiden getrennt und alles andere als glücklich zeigt. Da ist es fast schon Ironie, dass der Auslöser dieser Krise ein ehrliches "I love you" von Julian war, auf das Brooke fast schon lächerlich übertrieben heftig reagiert. Ohne diese extreme Reaktion hätte Julian bestimmt nicht so nachgebohrt, wieso Brooke sein Liebesgeständnis erwidern kann, und es wäre weder dazu gekommen, dass Brooke ihm nicht sagen kann, was er hören will, noch wäre das leidige Thema Lucas wieder aufgekommen. Aber ganz ehrlich: dass es dazu kommt war für mich nur eine Frage der Zeit, nachdem das Peyton-Problem, das über ihnen schwebte, sich so unspektakulär gelöst hat und Lucas eigentlich bei beiden die tiefere Wunde hinterlassen hat.

Die Darstellung von Austin Nichols und Sophia Bush bei dieser zur Abwechslung mal anhaltenden ernsten und traurigen Stimmung fand ich absolut überzeugend, genauso angenehm und typisch für die Figuren war es aber auch, dass die Geschichte mit dem gewohnten Humor eingeleitet wurde und dadurch der Übergang von der Nathan/Haley-Geschichte nicht so hart war, als wenn Julian Brooke gleich mit Lucas konfrontiert hätte. Das Ende der Storyline war unendlich traurig, vor allem weil die Parallelität zur Episode von Mouth und Millie nicht von der Hand zu weisen ist. Während Julians "I’ll wait for you" wieder ein kurzer Lichtblick war, wurde es durch seinen überstürzten Abgang nach dem Blick auf das Foto von Brooke und Lucas wieder relativiert und auch Brookes "Someday" bringt leider wenig, wenn Julian es nicht hört und sie ihm damit alle Zweifel nimmt. Aber ich bin zuversichtlich, dass es sich zwischen den beiden wieder einrenkt – es braucht eben erst mal ein bisschen Drama, damit es wieder zu einer schönen Versöhnung kommen kann!

I pulled the trigger, but you loaded the gun!

Nicht unbedingt ans Herz gehend, aber auf jeden Fall großartig war der Schlagabtausch zwischen Dan und Deb! Sehr schöne Inszenierung, wie aus einer fast vertrauten Zweisamkeit plötzlich der größte Streit entsteht, in dem Dan auf wunderbar verquere Weise einen fast schon nachvollziehbaren Grund für seinen Mord an Keith liefert! Und auch wenn es so gesehen offensichtlich ist, hat es mich doch überrascht, dass Deb sich tatsächlich eine Mitschuld an diesem schwarzen Tag gibt. Der Höhepunkt war natürlich das Ende des Streits, als die Stille nach Debs ausgesprochener Freude über Dans baldigen Tod von Jamie unterbrochen wurde, der mit Dans leuchtendem Beeper ankommt. Neben einem wundervollen Streitgespräch bleiben von dieser Episode zwei gute Nachrichten: Dan bleibt uns noch eine Weile erhalten und nach den bangen Minuten in #6.06 Choosing My Own Way of Life gibt es nach dieser Szene absolut keine Befürchtungen mehr, dass Dan Deb wieder zurück gewinnen will.

Fazit

Es war eine gute Entscheidung, den Charakteren und einzelnen Geschichten so viel ungestörten Platz einzuräumen, auch wenn es schade ist, dass die einzelnen Episoden so strikt voneinander getrennt waren, dass es nicht mal (wie zum Beispiel in #5.13 Echoes, Silence, Patience And Grace) zu wörtlichen Überschneidungen kam. Die Folge hat mir trotz kleiner Schwächen gut gefallen, weil sie in sich stimmig war und einige interessante Storylines für das finale Drittel der Staffel angelegt hat.

Lena Stadelmann - myFanbase

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