Bewertung
Bob Dylan

Christmas In The Heart

Jedes Jahr Ende September, Anfang Oktober stapeln sich in diversen Supermärkten und Kaufhäusern die Weihnachtsprodukte bereits bis an die Decke – hier ein paar Christbaumkugeln, dort ein Stapel Adventkalender und aus den Radios wird man womöglich schon mit den ersten Weihnachtsliedern beschallt. Es scheint eine Art Wettbewerb zu sein, wer als Erster damit anfängt, verfrühte Weihnachtsstimmung zu verbreiten. So verwundert es auch nicht weiter, wenn man in den Plattenläden des Vertrauens erste Weihnachtsalben herumliegen sieht – verdutzt ist man erst, wenn der Blick auf den Interpreten einer CD namens "Christmas In The Heart" fällt: Es ist niemand Geringerer als Bob Dylan...

Foto: Copyright: Columbia Records
© Columbia Records

Nach unzähligen besinnlichen Compilations von Kollegen wie Neil Diamond, Mariah Carey, Sufjan Stevens, Sheryl Crow etc. hat "his Bobness" es nun auch getan: Er hat ein unfassbar kitschiges Weihnachtsalbum mit Klassikern wie "Winter Wonderland", "Little Drummer Boy" und "Here Comes Santa Claus" sowie einigen Traditionals ("The First Noel", "O' Little Town Of Bethlehem", ...) aufgenommen. Die Reaktionen darauf fallen äußerst vielfältig aus: Die Bob-Dylan-Fanatiker loben das mittlerweile 47. Album ihres heiligen Bobs (auch wenn es wohl kaum als reguläres Werk durchgehen dürfte) ohne zu hinterfragen über den grünen Klee und stufen es wie alles zuvor als "Meisterwerk" ein. Die Bob-Dylan-Fans hinterfragen das Ganze schon eher – bringen aber auch das Argument mit in die Diskussion, dass ein Bob Dylan eben gerne mit Erwartungshaltungen bricht und ein solch konservativ-traditionelles Weihnachtsalbum bestimmt irgendeinen tieferen Sinn hätte oder etwa ironisch gemeint ist. Die Bob-Dylan-Skeptiker werten diese Platte einfach als schlechten Witz ab, während die restliche Welt, die in keiner besonderen Beziehung zum großen Meister steht, bloß eine weitere, etwas unnötige Weihnachts-CD wahrnimmt. Worüber sich die einzelnen Gruppierungen aber einig sind: Dass sämtliche Einnahmen aus dem Verkauf an Feeding America und weiteren Hilfsorganisationen gespendet werden, ist definitiv eine gute Sache.

Der Inhalt von "Christmas In The Heart" lässt einen aber auch wirklich in zwiespältigen Gefühlen zurück: Das Eröffnungsstück "Here Comes Santa Clause" kann man eigentlich nur als Parodie auffassen – ansonsten wäre es unhöflich, dass man diesen sich wie ein altes Väterchen durch den Song näselnden Bob Dylan einfach nicht ernst nehmen kann, hin und wieder sogar den Drang hat, laut zu lachen. Die Arrangements tragen ihr Übriges dazu bei: In schönster altmodischer Kitsch-Tradition bimmelt man mit dem Glöckchen, lässt den Chor summen und säuseln und verbreitet eine nostalgische Stimmung, die ebenso fehl am Platz wie lächerlich wirkt.

Wer also (wie ich) auf eigene und eigenwillige Interpretationen des schon so oft gehörten Songmaterials gehofft hatte, weiß bereits nach dem ersten Stück, dass dies hier nicht der Fall ist. Stattdessen hält Dylan mit seinem Begleit-Chor eisern an der uramerikanischen Vision besinnlicher Musik fest, die sich im Wesentlichen aus den oben beschriebenen Arrangements zusammensetzt. Das heißt: Kitsch, Kitsch und noch mehr Kitsch. Einen interessanten Kontrast dazu bildet Dylans geradezu legendärer Gesang: Zu seinem Näseln, Nölen und Nuscheln gesellen sich ein altersbedingtes Krächzen sowie ein punschbedingtes Lallen. Das klingt manchmal genial, wie zum Beispiel beim herrlich schrägen "Christmas Blues", der taumelnd daherkommt und gerade deswegen alles richtig macht, weil er eben nicht wie eine weihnachtliche Kitschpostkarte wirkt.

Das nervt manchmal aber auch gewaltig, wenn der Gesang bei "I'll Be Home For Christmans" dermaßen windschief anmutet, sodass man bisweilen das Gefühl hat, dass die Platte in der falschen Geschwindigkeit abgespielt wird. Hin und wieder packt einen tatsächlich ein Hauch von Weihnachtsstimmung und während Dylan "Winter Wonderland" oder "Christmas Island" krächzt, ertappt man sich dabei, wie man ganz nostalgisch und rührselig wird und von amerikanischen Mittelklasse-Wohnzimmern in den 50ern träumt, was zugegebenermaßen aber mehr an der traditionellen Musik und am Engelschor liegt als am heiligen Bob selbst.

Und man hört einfach nicht auf, sich zu fragen, ob er, der ja von der halben Musikindustrie ebenfalls wie ein Heiliger behandelt wird, das tatsächlich ernst meint. Oder ob es ihm einfach Spaß gemacht hat, ein Album vorzulegen, das nicht jeder aufs Geratewohl in den höchsten Tönen loben kann, sondern bei dem man durchaus hin und wieder nicht anders kann, als ungläubig den Kopf zu schütteln. Das Totschlag-Argument "Das ist Bob Dylan, der darf das" kann man kaum noch gelten lassen – dafür tut es an manchen Stellen einfach viel zu sehr in den Ohren weh (was man dann irgendwie schon wieder lustig findet). Den Mythos um "his Bobness" wird es aber höchstwahrscheinlich nur noch weiter verstärken...

Fazit

Bob Dylan hat Weihnachten vielleicht in seinem Herzen, aber nicht in seiner Stimme: Sein Weihnachtsalbum, das wohltätigen Zwecken zugute kommt, stellt eine wahre Gratwanderung dar. Es bewegt sich von schmerzhaftem Kitsch zu nostalgischem Charme, verweilt bei "absolut nervtötend", macht einen Abstecher zu "herrlich schräg" und besucht anscheinend sogar mal die Parodie-Ecke. Natürlich versprüht er haufenweise Weihnachtsflair, manchmal aber in so geballter Ladung, dass einem direkt das Gruseln kommt. In der richtigen Stimmung kann man das vielleicht genießen – da sich Dylan aber durchwegs an den alten Klassikern und Arrangements orientiert, folgt hier keine Erleuchtung, sondern nur die Erkenntnis, dass man das alles mehr oder weniger ähnlich schon kennt – abgesehen von Dylans eigentümlichem Gesang, der sowieso ein Thema für sich ist.

Anspieltipps

Winter Wonderland

The Christmas Blues

Christmas Island

Artistpage

BobDylan.com

Tracks

1.Here Comes Santa Claus
2.Do You Hear What I Hear?
3.Winter Wonderland
4.Hark The Herald Angels Sing
5.I'll Be Home For Christmas
6.Little Drummer Boy
7.The Christmas Blues
8.O' Come All Ye Faithful (Adeste Fideles)
9.Have Yourself A Merry Little Christmas
10.Must Be Santa
11.Silver Bells
12.The First Noel
13.Christmas Island
14.The Christmas Song
15.O' Little Town Of Bethlehem

Stephanie Stummer - myFanbase
17.10.2009

Diskussion zu dieser CD