Bewertung

Review: #7.01 Zeichen der Zeit

Foto: Elisabeth Moss, Mad Men - Copyright: Jordin Althaus/AMC
Elisabeth Moss, Mad Men
© Jordin Althaus/AMC

"Are you ready? Because I want you to pay attention. This is the beginning of something." So beginnt die finale Staffel von "Mad Men". Nun kann man zwar einwenden, dass wir bis zum tatsächlichen Serienfinale noch mindestens ein Jahr warten müssen, weil AMC das Kalb gerne noch eine Weile melken möchte, aber nichtsdestotrotz schwingt über diesem Auftakt das Gefühl, dem Anfang vom Ende beizuwohnen, mit. Dabei ist es auch an der Zeit, den Stellenwert von "Mad Men" im Serienkosmos allgemein auszuwerten. In den letzten zwei Jahren hat sich der ehemalige Primus der Branche zumindest im diffusen öffentlichen Bewusstsein zu einem Kandidaten gewandelt, den viele mittlerweile zum alten Eisen zählen. Junge, neue, aufregende Serien wie "Homeland" liefen "Mad Men" bei den Awards den Rang ab, HBO hat mit "Game of Thrones" und auch "True Detective" endlich wieder Dramen auf dem Bildschirm, die die Konversationen beherrschen. Und auch AMCs "Breaking Bad" hat spätestens mit seiner finalen Staffel "Mad Men" in Sachen Coolness-Faktor den Rang abgelaufen. All diese Mitbewerber haben eins gemeinsam, sie sind stark angetrieben von inhaltlichem Fortschritt, die Frage, was als nächstes passiert, bestimmt die Konversation und über den Verlauf dieser Serien kann man einen klaren Handlungsbogen spannen.

"Mad Men" operiert auf einer anderen Ebene, natürlich verändert sich auch im Leben der Charaktere von "Mad Men" einiges, was bei einer inhaltlichen Laufzeit von mittlerweile knapp zehn Jahren auch zu erwarten ist, aber die Faszination liegt hier doch wo ganz anders. "Mad Men" fungiert viel mehr als eine Art Fenster, durch das wir Zuschauer immer wieder in unterschiedlichen Zeitabständen auf die Protagonisten blicken und schauen, wo die sich in ihrer inneren Entwicklung befinden. Die Frage für uns ist nicht, was als nächstes passiert, sondern wie die Figuren mit dem Geschehen umgehen. Wie wirken äußere Umstände auf das Innenleben von komplexen Charakteren, und was bewirkt dies in ihrer weiteren Entwicklung? Natürlich gehören derartige Fragen auch zum Repertoire der mehr handlungsgetriebenen Dramen, aber die Gewichtung ist dort eine ganz andere. Und ich kann es irgendwie auch nachvollziehen, wenn man mit den Mad Men und Mad Women über die Jahre irgendwie die Geduld verloren hat, haben sie doch aus ihren zahlreichen Fehlern scheinbar nur wenig gelernt. Ich persönlich finde diese Herangehensweise ganz grundsätzlich, aber auch in ihren vielen Details wahnsinnig faszinierend und empfinde es als intellektuell wahnsinnig bereichernd, dem Verfahren beiwohnen zu dürfen.

In these days of wars and rumors of wars — haven't you ever dreamed of a place where there was peace and security?

Dazu kommt das Selbstbewusstsein in jeglichen Aspekten des entstandenen Produktes, das "Mad Men" einfach ausstrahlt. Ob es die kraftvoll geformten Szenen und Worte von Seiten der Drehbuchautoren sind, die detailversessene Ausstattung und die Kostüme, die die inhaltliche Ebene aufnehmen und diese um eine weitere Bedeutung ergänzen, oder auch die visuelle Umsetzung, die vielleicht nicht so auffällig aufregend ist wie in manch anderen optischen Meisterwerken, aber dennoch mit ihrer Bildsprache das Endprodukt bereichert.

Man muss nur auf die beeindruckende Eröffnungsszene dieser Staffel blicken, in der Freddy Rumsen einen Monolog direkt in die Kamera hält. Nach einigen Sekunden erkennen wir als Zuschauer, dass er keineswegs uns direkt anspricht, sondern einen Werbespot für Luxusuhren vorstellt, aber die direkte Anrede schwingt dabei doch weiterhin mit. Außerdem ist der Aspekt, dass die Folge eben nicht mit dem eigentlichen Protagonisten Don Draper eröffnet wird, für "Mad Men" durchaus bemerkenswert, stellt dies doch im siebten Jahr ein Novum dar. Und später erfahren wir dann, dass Don doch indirekt beteiligt war, denn der gelungene Entwurf des Werbespots stammt von Don, der Freddy in Cyrano-de-Bergerac-Manier mit Ideen füttert. Wahrscheinlich hätte man Dons Handschrift in diesem Entwurf sogar gut erahnen können, durch die ungewohnte visuelle Umsetzung der Szene, wird man aber von diesen Gedanken leicht abgelenkt, so dass die spätere Erkenntnis durchaus überraschend kommt.

Neben der großartig umgesetzten Eröffnungsszene gehört auch der Schlussmoment zu einem weiteren, besonderen Highlight, das allein von der Inszenierung in Bild und Ton lebt. Als Don nachts auf seinen Balkon tritt und wir als Zuschauer automatisch an den ikonenhaften Fall zwischen Wolkenkratzern aus dem Vorspann denken müssen, ist es am Ende ein ganz anderes Arrangement, dass wir zu sehen bekommen: Don, der halbnackt und frierend auf seinem Balkon sitzt, hinter sich die Stadt und eingehüllt vom Wind, während "You Keep Me Hanging On" spielt, man kann als den Beginn und den Anfang von zwei Seiten einer Medaille sehen und man kann sich fragen, was dies für Don bedeutet. Eins steht fest, mit diesem Paukenschlag wurde das finale Jahr furios eröffnet.

Where living was not a struggle but a lasting delight?

Inhaltlich stehen die Charaktere, mit denen wir uns in dieser Episode näher beschäftigen, alle im Zeichen des Verfalls. Am deutlichsten ist dies wohl bei Don und Peggy, die beide von der Folge in einem deprimierenden Zustand zurückgelassen werden. Don lebt in einer Phase der Ungewissheit, seine Ehe zu Megan wird von beiden nach außen aufrecht erhalten, aber nach innen sind die irreparablen Risse deutlich spürbar. Megans Haus in Los Angeles wurde eingerichtet, so dass Don keinen wirklichen Platz darin hat und ihre Besuche scheinen nur sehr selten zu sein. Aber das klare Indiz ist das Schweigen, das zwischen ihnen herrscht. Megan weiß nichts von seiner Suspendierung, und sie scheint vor allem mit ihrem Mann abgeschlossen zu haben. Sie entzieht sich dem Sex so weit es geht, wo doch ihre körperliche Beziehung immer einer der Grundpfeiler ihrer Ehe war. Sie gibt Don während seines Besuches ständig Anweisungen, damit er sich so verhält, wie sie es für richtig hält. Aber in dem Treffen mit ihrem Agenten wird klar, dass es in derartigen Umständen dennoch immer die beiden älteren Herren sind, die über sie wie über ein Stück Besitztum reden können.

Diese Ehe ist vorbei, es scheint nur noch eine Frage der Zeit und des Auslösers, bis sie sich endgültig auflöst. Don versucht noch einmal mit einem übergroßen Fernseher, den er seiner Frau kauft, sein Revier zu markieren, aber das wird ihm wohl nicht mehr viel nützen und das weiß er. Auf dem Rückflug von Los Angeles nach New York trifft er auf eine junge Witwe, zu der er plötzlich eine überraschende Vertrautheit aufbaut. Ich frage mich, ob wir einige der Szenen dieser Begegnung wirklich als Realität interpretieren sollen, die Silhouette der Witwe war in manchen Momenten so nah an seinen vielen vorherigen Frauen, ihre Themen kreisten über zahlreiche seiner kalifornischen Erlebnisse, wie Disneyland und den Strand, den er mit Annas Nähe assoziierte und der Ton und der Ablauf der Geschichte war so seltsam. Ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll, die Tatsache dass Neve Campbell diese rätselhafte Frau verkörpert, legt die Vermutung nahe, dass sie wohl noch nicht ganz aus Dons Leben verschwunden ist, aber sicher bin ich mir keineswegs.

Of course you have. So has every man since Time began.

Die weiteren Details von Dons Leben sind die bereits erwähnte Zusammenarbeit mit Freddy Rumsen, sein Versuch, sich selbst als Werbefachmann noch nicht abzuschreiben und leichte Andeutungen, dass er sein Trinken einschränkt. Klar ist hier noch nichts und wir werden dazu sicher in den nächsten Folgen noch mehr erfahren, aber bemerkenswert finde ich darüber hinaus, dass Dons kreatives Gespür immer noch klar und deutlich greifbar ist. Nur Peggy scheint dieses nicht mehr zu spüren. Oder sie spürt es und muss es dennoch abwandeln, da sie das Konzept für Freddys hält und sie sich in der kreativen Hackordnung klar oberhalb von Freddy sieht. Peggy, die die sechste Staffel zumindest beruflich in einem triumphalen Moment beendet, wird hier buchstäblich auf den Boden der Tatsachen geholt und das finale Bild, wie sie in ihrer verhassten Wohnung verzweifelt zusammenbricht, ist grausam. All die Steine, die Peggy in den Weg gelegt bekommt, durch ihre ungewollte Verantwortung als Hausbesitzerin und durch ihren in alten Zeiten stehen gebliebenen neuen Chef Lou Avery, der sie behandelt wie ein kleines Mädchen, wirken übermächtig. Aber auch wenn wir als Zuschauer stark mit ihr sympathisieren und ihre Ambitionen bewundern, war ihr Verhalten in Bezug auf die leichte Abänderung von Freddy/Dons-Slogan egoistisch. Der Entwurf, wie er ihr präsentiert wurde, war perfekt und vor allem in sich stimmig. Durch ihre Abänderung hat sie die Präzision aus diesem entfernt und ihn beliebig gemacht, aber wenn sie ihn nicht abgeändert hätte, hätte sie auch nichts gehabt, wofür sie hätte kämpfen müssen. Es ist eine zwiespältige Lage, in die man Peggy hier bringt, vor allem wenn man weiß, dass sie die Abänderung nie vorgenommen hätte, wüsste sie, von wem er stammt.

Am schlimmsten ist dabei besonders die Hoffnungslosigkeit, von der Peggys Situation gerade geprägt ist. Müsste sie nur mit ihrem gebrochenen Herzen und verletztem Stolz in Bezug auf Ted zurecht kommen, wäre dies das eine, aber die Aussichtslosigkeit in Bezug auf ihre kreativen Talente hinterlässt den tieferen Eindruck.

Always the same dream.

Ebenso wie Peggy ist auch Joan wieder einmal ständig damit konfrontiert, dass die Männer sie beruflich nicht ernst nehmen. Das Verhalten, dass der junge Manager von Barefoot ihr gegenüber an den Tag legt, schreit nur so von Respektlosigkeit und vor allem purer Ignoranz, er nutzt, wie auch heute noch viele beruflich erfolgreiche Männer, jeden herablassenden, angeblich wohlmeinenden Satz dazu, ihr ihre niedere Stellung klarzumachen und Ken setzt dieses Spiel fort, indem er Joan, die immerhin Partnerin der Agentur ist, behandelt wie eine Sekretärin. Auch ihr freundlicher Professor kommt nicht umhin, sie zu unterschätzen, während Joan durch ihre eigene übereilte Reaktion auf dessen Nachfrage nach Gegenleistungen mit ihren eigenen Sünden konfrontiert wird, die sie begehen musste, um überhaupt eine Chance auf einen Sitzplatz am Esstisch des Patriarchats zu erhalten. Joan kämpft verzweifelt darum, voranzukommen und als wertvoll wahrgenommen zu werden. In der tiefen Gewissheit, würde sie sich auch nur einmal annähernd so verhalten wie Roger es hier vormacht, hätte sie all ihre Zukunftschancen verspielt.

Aber Roger kann sich treiben lassen, Orgien mit jungen Frauen und Männern und wohl auch einigen Drogen begehen und geht dabei allein das Risiko ein, pathetisch zu wirken. Aber niemand bezweifelt, dass er wieder bei den Entscheidungsträgern mitspielen kann, wenn er das nur möchte. Klar wird er hier mit der wohlwollenden Vergebung seiner Tochter konfrontiert, die ihn durchaus trifft, wahrscheinlich tiefer als eine weitere Tirade an Vorwürfen. Die ist er gewohnt, Margarets Gönnertum weniger.

Sometimes he calls it Utopia — Sometimes the Fountain of Youth.

Kurz vor dem Ende meiner Review dieser außergewöhnlichen und großartigen Folge noch ein paar Dinge am Rande:

  • Wir steigen in die neue Staffel nur knapp zweieinhalb Monate nach den Ereignissen von #6.13 So frei ein, welches an Thanksgiving 1968 spielte. Hier ist es Januar 1969, als Präsident Nixon sein Amt antrat. Und obwohl dies der kürzeste Zeitsprung zwischen zwei Staffeln bisher war, scheint dennoch vieles stark verändert.
  • Es ist schon deprimierend, wenn einem Dons oder auch Teds Umgang mit Peggy, die immer von Formen des Missbrauchs geprägt waren, erstrebenswerter erscheinen, als diese völlige Ignoranz ihrer Talente durch Lou. Ihre beiden alten Mentoren haben sie wenigstens als talentierte, eigenständige Person erkannt, das bedeutete natürlich ebenso, dass sie sie emotional niederknüppeln mussten, um sie in Schach zu halten. Aber ein wirklicher Umgang auf gleicher Ebene mit einem Mann scheint für Peggy schlicht außerhalb ihrer Reichweite.
  • Ken ist nun verantwortlicher Kundenbetreuer und hat offensichtlich zusammen mit seinem einen Auge seine Gelassenheit verloren. Bob Benson hat es derweil fest nach Detroit verschlagen, von wo aus er Chevy betreut. Ich bin gespannt, ob wir James Wolk noch einmal zu Gesicht bekommen.
  • Pete ist der einzige Charakter in dieser Folge, der nicht tief in Verzweiflung versunken ist. Sein absolut fröhliches, nach zwei Monaten schon komplett assimiliertes Auftreten in Kalifornien war eines der wenigen leichteren Momente der Episode. Ein weiteres Humorhighlight? Kens fehlende Tiefenwahrnehmung beim Werfen von Joans Ohrring.
  • Es gibt noch keine Lebenszeichen von Sally, oder auch Betty. Ich bin gespannt, wie das Verhältnis zwischen Sally und ihrem Vater nach ihrem Ausflug in dessen Vergangenheit aussieht.
  • Letztes Jahr hat das Internet gemeinschaftlich beschlossen, dass Megan als junge Schauspielerin in den Sechzigern wohl das grausame Schicksal von Sharon Tate droht, die Ende 1969 von Charles Manson brutal ermordet wurde. Ausgelöst wurde dies durch ein T-Shirt, dass sie in einer Szene trug. Und hier wird mit dem Dialog über die entfernten Kojoten und ihr Haus, das an Draculas Schloss erinnert, ganz klar auf diese Geschichte Bezug genommen.
  • Der Dialog zwischen Don und Neve Campbell war wirklich seltsam und so bedeutungsschwanger: "He was thirsty. He died of thirst. His company sent him to a hospital. I was supposed to be part of the cure somehow, and all I did was observe. I thought he was really getting better and a doctor told me he would be dead in a year. They all would be." - "If I was your wife, I know I wouldn't like this." – " She knows that I'm a terrible husband – "How long have you been married?" – "Not long enough. I really thought I could do it this time."

Sometimes merely "that little chicken farm."

Ein großartiger Staffelauftakt, deprimierend, aber nahezu perfekt!

Cindy Scholz - myFanbase

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