Bewertung

Review: #6.13 So frei

Foto: Jon Hamm, Mad Men - Copyright: Jaimie Trueblood/AMC
Jon Hamm, Mad Men
© Jaimie Trueblood/AMC

Wow, ich bin absolut sprachlos, die Gedanken rennen wirr durch meinen Kopf und können kein klares Bild formen, weil sie von all den stark widersprüchlichen aber vor allem so dominanten Gefühlen unterdrückt werden. Bei all der hochgelobten Intellektualität von "Mad Men" beweist mir dieses Finale doch wieder einmal, dass es die Gefühle sind, auf die es ankommt. Wir können sicher in ein paar Tagen dieses Finale und diese Staffel auf intellektueller Ebene analysieren und die verschiedenen clever zusammen gewobenen Details aufdecken, die dieses Finale möglich gemacht haben. Aber am Ende sind es für mich diese Momente der schieren emotionalen Wucht, die "Mad Men" zu meiner Lieblingsserie machen. Zwar gehört auch dazu, dass hinter den Gefühlen eben noch viel, viel mehr steckt und diese somit keine Illusion sind, sondern auf Substanz beruhen. Aber wenn ich in einigen Jahren meine Kinder oder Enkelkinder oder einfach nachfolgende Generationen von der Genialität von "Mad Men" überzeugen will, dann komme ich mit Sicherheit auf den Einfluss einer solchen Episode auf mich im tiefsten Inneren zurück.

I've looked at clouds from both sides now/ From up and down, and still somehow/ It's cloud illusions I recall/ I really don't know clouds at all

Um es kurz zu sagen, ich saß die ganzen vollen 42 Minuten angespannt vor meinen Fernseher, ich war gefesselt und gefangen vom Geschehen und hatte Momente, in denen mir der Atem stillstand. Als Don plötzlich mitten im Meeting zu Dick Whitman wurde, als Pete Bob Benson konfrontierte, als Peggy in Dons Büro dessen Kultpose vor der Silhouette des Fensters einnimmt und ganz besonders als Don und Sally diesen vielsagenden Blick am Ende der Folge austauschen. Hier wird man als Zuschauer durch eine 'Tour de Force' der Gefühle geschickt, und das ohne Mord und Totschlag oder andere so offensichtliche Spannungserzeuger. "Mad Men" weiß um die komplexen Einflüsse, die manche eher simplen Lebensveränderungen auf die Menschen haben und schafft es, an diese Gefühle zu appellieren. Denn die Umbrüche im Leben der Charaktere hier sind gewaltig, auch wenn man nicht weiß, wie viel davon am Beginn der nächsten, mit großer Wahrscheinlichkeit letzten Staffel der Serie davon noch Bestand haben werden. Ob Ted und vor allem Pete dann noch Vollzeit in Kalifornien sind? Ob Dons "Beurlaubung" von Dauer sein wird? Ob Megan ihn wirklich zurücklässt? Und wie wird sich das Offenlegen seiner Vergangenheit auf Dons Leben und besonders auf sein Verhältnis zu Sally auswirken?

Aber all diese Aspekte waren ein Paukenschlag innerhalb dieses Finales. Dabei muss es wieder einmal gesagt werden, dass Jon Hamm in gewohnter Manier eine meisterhafte Schauspielleistung abgeliefert hat. Die ganze Staffel über haben er und die Autoren den Mythos Don Draper mit allen Mitteln demontiert, haben ihn unsympathisch, elend und vor allem pathetisch wie noch nie zuvor dargestellt. Dabei hat Hamm keinerlei Scheu gehabt, gegen sein Schönlings-Image anzugehen und zusammen mit den Maskenbildnern hat man auch optisch einen Mann am Boden zum Vorschein gebracht. Es gab viel Kritik darüber, dass man den Zuschauern doch bessere Unterhaltung gönnen könne, als einen Hauptcharakter dabei beobachten zu müssen, der wieder und wieder die gleichen Fehler begeht, ob mit den Frauen und seiner mitleidserregenden Affäre mit Sylvia, seinem erneuten Abrutschen in den Alkoholismus und seiner abweisenden Haltung Megan oder auch Sally gegenüber. Aber für mich ergibt dies zusammen mit dem Finale und dem dauerhaft präsenten Eindruck des Katastrophenjahres 1968 für die US-amerikanische Gesellschaft ein rundes Bild, das den Zusammenbruch Dons hier umso bedeutender macht. Ohne all die kleinen Puzzlesteine, zu denen auch sein berufliches Verhalten am Rande der Egomanie (siehe Jaguar, siehe sein dauernder Krieg mit Ted, siehe all die aus purem Egoismus torpedierten Meetings) gehören, hätten sowohl seine Entscheidung, plötzlich reinen Tisch mit seiner Vergangenheit zum unpassendsten Zeitpunkt überhaupt zu machen, als auch die daraus resultierende de facto Kündigung keinen Sinn ergeben. Der Mythos Don Draper wurde innerhalb der Serie und damit auch innerhalb der Agentur so stark aufgebaut, dass er erst komplett zerstört werden musste, um dieses Ergebnis zu erzielen. Und im Gegensatz zum verrotteten Zahn aus dem Finale der fünften Staffel, welcher als Sinnbild für Dons Seelenleben schon fast lächerlich offensichtlich war, ist das Bild von Dons Kindheitshaus, so heruntergekommen und billig wie es nun aussieht, ein perfekter Blick in Dons Inneres, denn es ermöglicht ihm hier, ohne die Worte, die er niemals finden würde, seiner Tochter zu zeigen, wer er wirklich ist. Don hat es nie geschafft diese Vergangenheit hinter sich zu lassen, beziehungsweise er hat sich zu den Aspekten entwickelt, die er schon damals verachtet hat.

Auf seinem Weg zu diesem emotional so bedeutenden Moment trampelt aber Don weiter in gewohnter Manier über einige Gefühle seiner Mitmenschen hinweg. Da ist zunächst Stan, der mit seiner Idee des kleinen, unabhängigen Büros in Kalifornien die Umzugsscharade auslöst und selbst am Ende nichts davon hat. Dann übergeht Don auch Ted und lässt sich erst im letzten Augenblick umstimmen, dabei ist natürlich dann aber Megan die Leidtragende. Dass er Ted die Chance auf einen Neustart in Kalifornien überlässt, ist zwar aus Dons Sicht eine noble Geste, hat doch Teds Flehen einen der wenigen selbstlosen Momente in ihm ausgelöst, aber die Sache betrifft eben nicht nur ihn. Dass Megan dies als Anlass nutzt, um die Ehe wahrscheinlich aufzugeben, ist also nur folgerichtig.

I've looked at love from both sides now/ From give and take, and still somehow/ It's love's illusions I recall/ I really don't know love at all

Kommen wir aber noch zu Ted, der uns alle in dieser Staffel so überrascht hat. War es doch so nicht zu erwarten, dass der als Karikatur-Gegner für Don eingeführte Ted Chaugh einer der absoluten Lichtblicke dieser Staffel werden würde. Zumal dessen Handlungsstrang auf dem Papier (neuer, gutwilliger Chef verliebt sich in die talentierte und herzensgute Untergebene, beide kämpfen gegen ihre Gefühle, kommen aber doch nicht dagegen an) nach einem absoluten Klischee klingt. Aber "Mad Men" schafft es dieser Geschichte, dank vieler subtiler Momente wie Teds Blick, als er nach dem vollzogenen Seitensprung an der Seite seiner Frau liegt, neues Leben einzuhauchen. Dazu kommt, dass wir als Zuschauer immer stark in Peggys Glück investiert haben, einfach weil sie ein derart gelungener Charakter ist, mit dem man jederzeit mitfühlt. Einerseits ist Teds Entscheidung zu bewundern, zeigt er doch mehr Rückgrat, als es all die anderen Seitenspringer innerhalb der Serie jemals getan haben, aber Peggys "Well, aren't you lucky: to have decisions." war niederschmetternd. Dennoch ist es Peggy, die den triumphierendsten Glücksmoment der Schlussmontage erhält, den klassischen Don-Draper-Blick über die Schultern, dazu in dessen Büro. Momentan ist Peggy die leitende Kreativdirektorin, auch wenn sich Sterling Cooper und Partner wohl nach Verstärkung umsieht. Was daraus wird, wird uns dann die nächste Staffel zeigen.

Einer der absoluten MVPs dieser Staffel ist aber auch weiterhin Pete Campbell, das sechste Jahr war sicher eines der stärksten für den Charakter von Vincent Kartheiser, der auch heute auf ganzer Linie, egal ob dramatisch, verzweifelt, niedergeschlagen oder durch seinen einzigartigen Humor ("How are you" – "Not great, Bob!!!") überzeugen konnte. Im Gegensatz zu manch anderer Storyline dieser Staffel hätte wahrscheinlich niemand vorausgesehen, dass seine damit endet, dass seine reiche Mutter von ihrem schwulen Pfleger entführt, dann geheiratet und zuletzt vom Schiff gestoßen werden würde. Diese Storylogik gehört zu den unnachahmlichen "Mad Men"-Dynamiken und hat trotz aller Tragik nicht nur ein kleines Lächeln auf mein Gesicht gezaubert. Als Pete dann aber von Bob so clever vorgeführt wurde und er so verzweifelt und geschlagen bei Chevy im Auto saß, hatte ich nur noch Mitleid für ihn. Trudy schafft es zwar, der Situation etwas Positives abzuringen und vielleicht stellt sich ja auch diese neu gewonnene Freiheit für Pete als Beglückung heraus, die Historie hat aber eben auch oft gezeigt, dass man sich selbst nicht entkommen kann. Und Pete ist bis dato prädestiniert dafür, selbst im Glück unglücklich zu sein. Aber wer weiß, vielleicht durchbricht ja die finale Staffel von "Mad Men" den Zyklus der immer wiederkehrenden Lebensentwürfe zumindest für einige wenige Charaktere.

I've looked at life from both sides now/ From WIN and LOSE and still somehow/ It's life's illusions I recall/ I really don't know life at all

Es gibt so viel Positives zu erzählen über dieses gelungene Staffelfinale, besonders aber eben, dass es der Season als solche einen tieferen Fokus verliehen hat und einen würdigen Schlusspunkt setzte, gleichzeitig aber auch sehr gelungenen auf die neue Staffel vorbereitete. Wenn, dann gibt es von meiner Seite nur winzige Kritikpunkte, wie etwa dass mir nach dem Fokus auf Joans berufliche Ambitionen in #6.10 A Tale of Two Cities diese leider zu sehr in den Hintergrund gerückt wurde und man sich hier hingegen auf ihre Verbindung zu Roger und dessen Vaterschaft zu Kevin bezieht. Das aber leider auch nur sehr kurz und mit wenigen Szenen. Aber das ist wirklich nur eine Kleinigkeit und soll meine Begeisterung nicht schmälern, denn auch die Entscheidung, welche Geschichten man für später offen lässt, um sich auf die gerade präsenten vernünftig zu konzentrieren, gehört zu den wichtigsten Prozessen beim Entwickeln einer solchen Serie.

Damit beschließen wir diese Staffel von "Man Men" mit einem rundum gelungenen weil hochemotionalen Finale, das mir noch lange in Erinnerung bleiben wird, mindestens bei jedem Anhören von Joni Mitchells "Both Sides, Now", welches in der Version von Judy Collins die Schlussszene umrandet und mir damit wunderbare Verse als Rahmen für meine Review ermöglichte. Um die Wartezeit noch ein wenig zu verkürzen, zum Abschluss noch ein paar kleine Randnotizen:

  • Es ist schon bemerkenswert, dass Dons eigentlicher Tiefpunkt, nach einer Schlägerei mit einem Pfarrer in der Ausnüchterungszelle aufzuwachen, so schnell fast wieder in Vergessenheit gerät, weil danach gerade für ihn einfach so viel passiert. Aber sein Ausbruch vor den Klienten über die Schokolade, zu der er ein derart enges Verhältnis hat, war zu beeindruckend, so dass alles davor einfach an Bedeutung verliert.
  • Peggy leidet in diesem Finale und in der Retrospektive zu sehr darunter, dass sie den Entscheidungen im Leben trotz aller Bemühungen nur passiv gegenüber stehen muss. Sie muss den Merger über sich ergehen lassen, Abes Schlussstrich unter die Beziehung und zuvor die Entscheidung über das Haus, und auch über das Ende mit Ted hat sie keinerlei Bestimmungsrecht ausgeübt. Es ist ein klares Leitmotiv für ihre Entwicklung in dieser Staffel, auch wenn sie beruflich ganz oben zu sein scheint. Und dann muss man da natürlich noch ihre sehr auffälligen Veränderungen in der Garderobe erwähnen. Ein Kleid wie das, was sie benutzt, um Ted zu reizen, hat man an ihr noch nicht gesehen, aber auch danach war sie in ganz anderen Outfits als gewohnt zu sehen, entweder mit tiefem Ausschnitt oder das erste Mal mit Hosen im Büro. Die Kleiderwahl ist dank Janie Bryants Talent nie purer Zufall bei dieser Serie, sicher auch in diesem Fall nicht.
  • Bert Coopers Rolle bei der Beurlaubung Dons, die in der Art und Weise ja sehr an die Demontierung Freddy Rumsens (ebenfalls ein notorischer Alkoholiker) erinnert, war äußerst interessant. Er weiß als Einziger im Raum, dass Dons Geschichte sicher der Wahrheit entsprechen wird, und er spricht am Ende das Urteil über ihn. Interessant ist dabei auch, dass Bert mittlerweile weniger als Humorlieferant eingesetzt wurde, sondern wirklich vermehrt als graue Eminenz der Agentur.
  • Wir befinden uns zeitlich hier an Thanksgiving 1968, damit umspannte diese Staffel den Zeitraum von Neujahr bis eben Thanksgiving und wir beenden die Serie wohl wirklich mit dem Jahre 1969 und sie umspannte somit das gesamte Jahrzehnt.

Cindy Scholz - myFanbase

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