Bewertung

Review: #6.13 Der letzte Rekrut

Es ist soweit.

Schnallt euch an, liebe Leute, und haltet euch bereit für die letzte turbulente Achterbahnfahrt von "Lost". Der Kreis ist dabei, sich zu schließen. Und wie keine andere Episode bereitet #6.13 Der letzte Rekrut alles vor auf das große Finale und setzt verschiedene Storylines in Bewegung, die für das Ende der Serie zweifelsohne entscheidend sein werden. Während die vergangenen Episoden durch ihre Charakterzentriertheit durchaus eine in sich geschlossene Einheit bildeten, wirkt diese Folge wie der erste Teil eines großen "Lost"-Blockbusters, der sich über die nächsten fünf Episoden erstrecken wird. Ganz klar: Das wird ein Erlebnis der Extraklasse.

"Because Jacob chose you, you were trapped on this Island, before you even got here."

Die Folge knüpft nahtlos an die Ereignisse aus #6.12 Alle lieben Hugo an und beginnt mit einem absolut großartigen Gespräch zwischen Jack und Smokelocke, das vor allem in Bezug auf Jack etwas Wichtiges klar macht: Jack ist nicht mehr der eiserne Mann der Wissenschaft. Tatsächlich bewegt er sich immer mehr auf Lockes Position zu und wird langsam aber sicher zu einem Mann des Glaubens. Dabei ist es pure Ironie, dass Smokelocke das Mantra von Locke – "Everything happens for a reason" – als totalen Unsinn abtut und somit Jacks frühere Position einnimmt. Ein Rollentausch, der verdeutlicht, wie weit Jack mittlerweile gekommen ist und welch erstaunliche Entwicklung er durchgemacht hat. Jack hat immer größere Zweifel, ob Locke nicht vielleicht doch die ganze Zeit über Recht gehabt hatte und die Insel in der Tat eine Aufgabe für ihn bereit hält.

Das Gespräch zwischen Jack und Smokelocke liefert auch gleich DIE Enthüllung der Stunde: Es war tatsächlich Smokelocke, der in #1.05 Das weiße Kaninchen und auch zu späteren Zeitpunkten die Gestalt von Christian Shepherd annahm. Es bestätigt sich damit der Verdacht, dass er zwischendurch auch als Ekos Bruder Yemi zu sehen gewesen ist (#3.05), als Alex Rousseau (#5.12) und als Richards Frau Isabella (#6.09). Dass wir hierüber endlich absolute Gewissheit haben, ist ein großes DANKE wert an die Drehbuchschreiber Paul Zbyszewski und Graham Roland.

Auch die anschließende Unterhaltung zwischen Jack und Claire hätte man besser nicht machen können. Zum ersten Mal stehen sich die beiden mit dem Wissen gegenüber, dass sie denselben Vater haben, und dabei begegnen sie sich mit einer gewissen geschwisterlichen Zuneigung und gleichzeitig etwas Unsicherheit, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Eine sehr schöne Szene, die in nur kurzer Zeit viel Wichtiges zum Ausdruck bringt, und vor allem gekonnt mit dem Flashsideway gekoppelt wird, in dem Alterna-Jack und Alterna-Claire ebenfalls die Wahrheit über einander erfahren. Doch mehr dazu später.

"Whether you like it or not, you're with him now."

In Smokelockes Camp herrscht nach Zoes explosivem Ultimatum Chaos. Während Smokelocke zum Aufbruch aufruft und Sayid befiehlt, Desmond zu erledigen, plant Sawyer, sich mit Kate, Hurley, Sun, Frank und Jack aus dem Staub zu machen und sich Widmore anzuschließen. Sayid und Claire sind jedoch ausgeschlossen, was Sawyer ganz einfach mit "Sayid's a zombie and Claire's nuts" argumentiert – doch hat er Recht? Wie Hurley diesmal so schön sagt: "You can always bring people back from the dark side." Und tatsächlich, sowohl bei Sayid als auch bei Claire zeichnet sich ab, dass womöglich noch Hoffnung besteht.

Sicherlich eine der stärksten Szenen ist das Zusammentreffen zwischen Sayid und Desmond am Brunnen. Letzterer hat den Fall verletzt überlebt (womit meine komplizierte Theorie aus der letzten Review natürlich kläglich verfällt) und sieht nun dem Tod in Form von Sayid ins Auge. Desmond schafft es aber, mit wenigen Worten Sayid in eine Gewissenskrise zu stürzen, denn der ist anscheinend doch nicht ganz so kaltblütig, wie zunächst angenommen. Auch Claire vollzieht diesmal einen wichtigen Schritt und löst sich von Smokelocke. Anstatt ihm weiterhin blind zu folgen, schließt sie sich Kate an, die ihr verspricht, sie mit Aaron zusammenzubringen. Selten hat man Kate so aufrichtig gesehen, was definitiv von einer charakterlichen Entwicklung zeugt. Doch ob Claire wirklich schon bereit ist, die Insel zu verlassen, wird sich zeigen, da es auch sehr gut sein kann, dass sie die anderen nur sabotieren will, um in Smokelockes Gunst zu steigen.

Die Truppe erreicht schließlich Desmonds Boot und segelt los zur Hydra-Insel. Doch Jack hat das Gefühl, dass es nicht richtig ist, die Insel zu verlassen. Im Gespräch mit Sawyer wird klar, dass Jack den Umbruch vom Mann der Wissenschaft zum Mann des Glaubens innerlich schon vollzogen hat und beweist dies, als er sich gegen die Flucht und für die Insel entscheidet. Während der "alte" Jack mit aller Macht von der Insel wollte und dies schließlich auch schaffte, springt der "neue" Jack ins Wasser und kehrt aus freien Stücken zurück zur Insel. Für Jack ist dies definitiv einer der bedeutendsten Momente in seiner Entwicklung, die mit dem Fortschreiten dieser Staffel immer gewaltiger wird und einfach hervorragend konzipiert und umgesetzt wird.

Während Jack auf der Insel von Locke in Empfang genommen wird, erreicht der Rest die Hydra-Insel. Dort kommt es endlich zum Wiedersehen zwischen Sun und Jin, die sich nach drei Jahren wieder in die Arme schließen können. So schön diese Begegnung ist, so kitschig ist sie aber auch. Das melodramatische Aufeinanderzulaufen und die gegenseitigen Liebesbekundungen sind ungewohnt schnulzig für "Lost"-Verhältnisse und letztlich hätte man da wohl mehr Feingefühl beweisen müssen. Aber was soll's. Zoe rettet uns aus dem Kitsch und lässt auf Widmores Befehl prompt alle festnehmen – gleichzeitig bricht auf der anderen Insel die Hölle los, als Locke und seine Anhänger bombardiert werden. Oh ja, es geht rund auf beiden Inseln – und das ist erst der Anfang.

"Do you believe in fate?"

Was wir diesmal im Flashsideway erleben, ist eine absolut grandiose Zusammenführung sämtlicher Sideways, in die wir in den vergangenen Episoden bereits einen Blick erhaschen konnten. Ben bringt Locke ins Krankenhaus, genau zum gleichen Zeitpunkt wird Sun eingeliefert, gleichzeitig kommen Miles und Sawyer Sayid auf die Spur und Jack trifft auf Claire und Ilana. Einfach brillant, wie sämtliche losen Enden aufgegriffen und nun weitergesponnen werden.

"Don't you think it's weird? You and me being on the same flight, having that little meet-up in the elevator? And a week later – boom, of all the cars in Los Angeles, you smash into mine. Almost like someone's trying to put us together", sagt Sawyer im Gespräch mit Kate und bringt damit die Kernfrage der Folge, der Staffel, ja eigentlich der ganzen Serie auf den Punkt: Ist alles nur Zufall oder ist alles Schicksal? Hat eine höhere Macht – Gott, das Universum, Jacob, was auch immer – sie zusammengebracht? Haben die Charaktere eigentlich eine andere Wahl, als das zu tun, was sie eben tun? Der Kampf Schicksal vs. freier Wille hat in der sechsten Staffel gerade mit den Flashsideways seinen Höhepunkt erreicht und wir werden immer wieder vor die Frage gestellt, in wie weit die Charaktere wirklich aus freiem Willen handeln können oder ihrem Schicksal ausgeliefert sind.

So bringt Desmond Claire mit Ilana zusammen, die es ebenfalls kaum glauben kann, dass sie ausgerechnet die gesuchte Halbschwester ihres Klienten Jack Shepherd vor die Nase gesetzt bekommt. Zufall? Wohl kaum. Im Krankenhaus ist Sun völlig entsetzt, als neben ihr der verletzte John Locke eingeliefert wird und sie scheint ihn (aus einem Flashsideway?) wieder zu erkennen. Zufall? Sicherlich nicht. Und später kann Jack es kaum fassen, dass ausgerechnet Locke auf seinem OP-Tisch liegt, eben der Mann, den er am Flughafen kennen gelernt hatte. Zufall? AUF GAR KEINEN FALL.

"The island's not done with us yet."

Man merkt, dass das Thema Schicksal vs. freier Wille, das in den vergangenen Staffeln bereits immer wieder angeschnitten wurde, mit Staffel 6 und mit diesen letzten Storylines zu seiner vollen Entfaltung kommen wird. Haben die Charaktere eine Wahl, sich für Jacob oder Smokelocke zu entscheiden? Oder was meint Claire damit, als sie sagt, dass Jack jetzt zu Smokelocke gehört? Klar ist, dass sowohl Jacob als auch Smokelocke alle zu ihren Gunsten manipulieren, obwohl sie behaupten, dass jeder einen freien Willen hätte. Aber können wir da überhaupt noch von einem freien Willen sprechen?

Mein freier Wille sagt mir jedenfalls: Teil 1 dieses sechsteiligen "Lost"-Blockbusters war so spannend, überraschend und unterhaltsam, dass eine volle Punktzahl wohl rausspringen könnte. Zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Ende der Serie ist man als fanatischer "Lost"-Zuschauer aber auch einfach aus Prinzip dazu bereit, immer 9 Punkte zu vergeben. Doch dann muss ja wiederum Platz nach oben sein, da wir zu Recht erwarten dürfen, dass auf dem Weg zum Finale noch bessere Episoden kommen werden bzw. diese Folge in Verbindung mit den nächsten fünf ein einziges großes 9-Punkte-Ereignis ergibt. Daher: 7 Punkte. Tendenz steigend.

Maria Gruber - myFanbase

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