Bewertung
Bacigalupi, Paolo

Biokrieg

"Wenn Sie mein Gott wären, hätten sie die Neuen Menschen zuerst erschaffen!"

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Inhalt

In einer nicht allzu fernen Zukunft haben Seuchen, genetische Mutationen, der Klimawandel und das Versiegen der natürlichen Ressourcen die Welt verändert. Staaten sind zerfallen, zahllose Spezies der Pflanzen – und Tierwelt sind für immer verschwunden und Lebensmittelkonzerne regieren die Welt. Nur das Königreich Thailand konnte sich seine Unabhängigkeit bislang bewahren, doch auch hier ist der innere Verfall bereits im Gange. Das Handelsministerium will das Land aus der Isolation führen, während das Umweltministerium weiterhin rigoros gegen Einflüsse von außen vorgeht. Ein Bürgerkrieg bahnt sich an. Diese Lage versucht sich der ausländische Geschäftsmann Anderson Lake zunutze zu machen, um im Auftrag eines Lebensmittelkonzerns an das wertvolle Saatgut Thailands zu kommen. Dabei lernt er das "Aufziehmädchen" Emiko kennen, eine künstlich erschaffene Dienerin, die sich verbotenerweise in Thailand aufhält und ein erniedrigendes Dasein als Prostituierte fristet. Lakes Faszination für Emiko setzt schließlich Ereignisse in Gang, die niemand hätte voraussehen können.

Kritik

"Biokrieg" ist kein Roman, der den Lesern die Welt, in der die Handlung spielt, auf dem Silbertablett serviert. Es gibt keine explizite Zusammenfassung, was wann passiert ist und wie die Gesellschaft nun im Ganzen aussieht. Als Leser muss man sich langsam in die Geschichte einarbeiten und sich anhand der Gedanken der verschiedenen Figuren und der Beschreibungen ihrer direkten Umgebung ein Bild machen. Ganz vollständig wird dieses Bild dabei nie und die vielen fremdsprachigen Ausdrücke erschweren die Gewöhnung an den Roman, doch wenn die Handlung ihren Höhepunkt erreicht und sich das Schicksal Thailands und aller Charaktere entscheidet, wird einem erst so richtig bewusst, dass man doch eine ziemlich gute Vorstellung von Paolo Bacigalupis Zukunftsvision entwickelt hat und sich mit dieser gedanklich mehr beschäftigt, als man anfangs für möglich gehalten hätte.

Es lassen sich verschiedene Elemente aus der Handlung herauspicken, die das Potential haben, sehr ausführlich analysiert bzw. interpretiert zu werden. Ein zentrales Thema ist beispielsweise die Genfledderei und ihre Folgen. Aus reiner Neugier und purem Egoismus haben die Menschen in Laboren neue Tier – und Pflanzenarten erschaffen, die sich unkontrolliert ausgebreitet und nach einiger Zeit die natürliche Flora und Fauna verdrängt haben. Das war nie beabsichtigt, doch die Lehre, die die Menschen daraus ziehen, ist nicht etwa, mit den Genexperimenten aufzuhören, sondern einfach Wesen zu erschaffen, die sich nicht von alleine fortpflanzen können und die Schwächen haben, die sie vermeintlich beherrschbar machen. Wesen wie Emiko. Das Aufziehmädchen stammt aus japanischer Produktion und ist auch nur für den japanischen Markt gedacht, so dass sie in Thailand kaum zurechtkommt. Die Vorstellung, dass Menschen genetisch nur für ein bestimmtes Umfeld geschaffen werden, für bestimmte Umweltverhältnisse und eine bestimmte Kultur, ist erschreckend markwirtschaftlich und ein Zerrbild der Evolution.

Emiko ist darauf getrimmt, blind zu gehorchen und unterwürfig zu sein, doch nachdem sie von ihren Schöpfern im Stich gelassen wurde, entbrennt in ihrem Inneren ein Kampf zwischen der genetischen Veranlagung zum Gehorsam und dem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung. Hier wird deutlich, dass auch genetisch eingepflanzte Schwächen auf Dauer kein Hindernis sind bei einem Wesen, das denkt und fühlt. Die Genetik stößt an ihre Grenzen, da das Leben nicht hundertprozentig planbar ist. Zu viel kann passieren, Gutes wie Schlechtes, das die Wahrnehmung eines denkenden, fühlenden Geschöpfes verändert. Insgesamt vereint die Figur Emiko in sich mehrere kontroverse Fragen und Thesen, über die alleine man schon eine Doktorarbeit in Ethik, Biologie oder Anthropologie schreiben könnte.

Einen weiteren Themenkomplex bilden die Flüchtlinge aus zerfallenen Staaten, die in Thailand als so genannte "Yellow Cards" zusammengepfercht werden und so gut wie keine Rechte besitzen. Man muss nicht groß darauf hinweisen, dass dies leider keine Science Fiction, sondern durchaus ein reales Gegenwartsproblem ist.

Der Konflikt zwischen dem Handelsministerium und dem Umweltministerium schließlich, der die Rahmenhandlung des Romans darstellt, ist ein Konflikt zwischen Isolationismus und Globalisierung. Die Einen sehen in offenen Grenzen die Möglichkeit zu Profit und Vielfalt, die anderen fürchten Krankheiten und sonstige Bedrohungen. Dabei wird keines der beiden Konzepte wirklich als das Bessere dargestellt, entscheidend ist, was die Menschen daraus machen.

Fazit

"Biokrieg" ist keine einfache, kurzweilige Lesekost, sondern ein vielschichtiger, heraufordernder Roman mit einigen drastischen Momenten.

Maret Hosemann - myFanbase
24.06.2011

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