Bewertung
Millar, Martin

Kalix. Werwölfin von London

"Du widerst mich an, Kalix MacRinnalch. Du bist die Vierte in der Erbfolge des Fürsten, und du führst dich auf wie der letzte Abschaum der Werwolfgesellschaft".

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Inhalt

Nachdem sie ihren Vater, den Fürsten eines mächtigen schottischen Werwolfclans, angegriffen hat, flieht die siebzehnjährige Kalix MacRinnalch nach London. Einsam und verwahrlost streift sie durch die Stadt und hätte nichts gegen einen frühen Tod einzuwenden, doch die Wölfin in ihr ist zu stark und hält sie am Leben. Als Kalix zufällig die beiden Studenten Moonglow und Daniel kennen lernt, beginnt sich ihre Situation zu verändern. Derweil stirbt der Fürst an den Verletzungen, die Kalix ihm zugefügt hat. Zwischen seinen Söhnen Sarapen und Marcus entbrennt sofort ein Kampf um die Nachfolge, und für beide Brüder wäre der Tod ihrer jüngsten Schwester Kalix von Vorteil. Doch es gibt noch zwei andere abtrünnige Verwandte, die in London leben und die Machtfrage mitentscheiden können: die Zwillinge Butix und Delix. Die beiden Werwölfinnen werden wegen ihres "Sex, Drugs & Rock 'n' Roll"-Lebensstils verachtet. Nun soll das klügste Mitglied der Familie MacRinnalch, die abgeklärte Dominil, die Zwillinge auf Vordermann bringen. Kalix' ältere Schwester Thrix ist gar nicht erfreut, in das ganze Familiendrama mit hineingezogen zu werden, versucht sie doch, sich in London als Modedesignerin zu etablieren und ihre beste und zugleich schwierigste Kundin, die im wahrsten Sinne des Wortes leicht entflammbare Feuerkönigin, zufrieden zu stellen.

Kritik

Vielleicht ist Martin Millar ja eines Tages durch eine Buchhandlung geschlendert und kam dabei zu dem Schluss, dass übernatürliche Geschöpfe wie Vampire, Werwölfe und Geister in der modernen Fantasy-Literatur als zu bewundernswert, zu perfekt und innerhalb ihrer jeweiligen Artgenossengruppen als zu harmonisch dargestellt werden. Seinen Roman "Kalix. Werwölfin von London" kann man als eine Erwiderung darauf verstehen. Zwar erweisen sich die Werwölfe und anderen übernatürlichen Kreaturen auch in Millars Geschichte als stark und schön, doch sind sie im gleichen Maße zerstörerisch, intrigant, egomanisch und verkommen.

Die kaputteste von allen ist die Hauptfigur Kalix. Das Mädchen vereint in sich so ziemlich alle Probleme, mit denen sich Jugendpsychologen dieser Welt befassen müssen. Sie ist drogenabhängig, magersüchtig und autoagressiv, neigt zu Zornausbrüchen und Panikattacken, besitzt praktisch kein Selbstwertgefühl und hinkt in ihrer Bildung weit hinterher. Gleichzeitig verfügt sie jedoch über eine außergewöhnliche Stärke, die daher rührt, dass sie in einer Vollmondnacht in Werwolfgestalt geboren wurde, was ein seltenes Phänomen ist. Ihre Gegner unterschätzen sie ständig und halten sie für erbärmlich, was sie allesamt mit dem Leben bezahlen. Obwohl man als Leser durchaus Mitleid für Kalix empfindet und sich freut, wenn sie Fortschritte macht, ist es doch sehr gut, dass der Roman nur zu einem geringen Teil aus ihrer Sicht geschrieben ist, da ihre selbstquälerische, abweisende Natur und ihre fehlende geistige Reife mitunter recht anstrengend sind und eine Identifikation mit diesem Charakter fast unmöglich machen.

So wie Kalix einer ganzen Serie von jugendpsychologischen Lehrbüchern als Vorlage dienen könnte, ist ihre Familie ein Musterbeispiel an Dysfunktionalität. Körperliche und seelische Gewalt, Misstrauen und Distanziertheit sind in dieser Werwolfsippe Gang und Gebe, die Sympathien füreinander halten sich bei allen Familienmitgliedern deutlich in Grenzen und viele von ihnen flüchten sich in Marotten, Suchtmittel und fragwürdige Liebschaften. Der Kampf um die Fürstennachfolge wird mit aller Härte und Tücke geführt.

Zwischen die Fronten dieser Werwolfsfehde geraten die beiden Menschen Moonglow und Daniel, die Kalix bei sich aufnehmen. Es ist dabei nicht unbedingt nachvollziehbar, warum die Studenten der alles andere als dankbaren Kalix unbedingt helfen wollen und sich so bereitwillig in den übernatürlichen Schlamassel hineinziehen lassen. Eine weitere wichtige Rolle spielt die Feuerkönigin. Sie und andere Herrscherinnen fremder Dimensionen leben schon so lange und haben ihre Feinde so gründlich ausgemerzt, dass sie sich nun langweilen und sich daher aus der Welt der Menschen etwas ausgesucht haben, dem sie sich mit Leidenschaft widmen können: Kleidermode. Die mächtigen Geschöpfe spinnen Intrigen und mischen sich in blutige Gefechte ein, um passend zu gesellschaftlichen Anlässen, wie dem fünfhundertsten Geburtstag einer Hexe, die schönsten Kleider, Schuhe und Handtaschen zu erobern.

Trotz der einen oder anderen Schwäche in den Charakterzeichnungen, erweist sich "Kalix. Werwölfin von London" als spannender, unterhaltsamer und faszinierender Roman, der die Welt des Übersinnlichen nicht beschönigt, sondern sie mit spitzen Ecken und scharfen Kanten ausstattet. So werden die knapp über 750 Seiten nie langweilig.

Fazit

"Kalix. Werwölfin von London" ist ein mutiger Vertreter der Urban Fantasy, der nicht mit romantischen Vorstellungen, sondern eher mit Wahnsinn spielt.

Maret Hosemann - myFanbase
09.01.2010

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