King, Stephen

Dolores

Dolores Claiborne, 65 Jahre alt, sitzt an einem Novemberabend im Jahre 1992 auf dem Polizeirevier von Little Tall Island, einer kleinen Insel vor der Küste Maines, um ihre Aussage zu machen...

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Inhalt

Dolores Claiborne, 65 Jahre alt, sitzt an einem Novemberabend im Jahre 1992 auf dem Polizeirevier von Little Tall Island, einer kleinen Insel vor der Küste Maines, um ihre Aussage zu machen. Sie habe ihre Vorgesetzte Vera Donovan nicht getötet, wie viele Bewohner der Insel vermuten. Aber sie habe 1963 ihren Mann umgebracht. Dolores legt nun im Verlauf dieses Romans ein umfassendes Geständnis ab.

Dolores ist 18 Jahre alt und schwanger als sie Joe St. George 1945 heiratet. Es ist keine Liebesheirat, Dolores muss in den folgenden Jahren schwer arbeiten, um sich, Joe und die drei Kinder durchzubringen. Joe ist ein Säufer und ein Prahlhans, ein unangenehmer Zeitgenosse, der in den Augen der Inselbewohner die Hosen an hat. Doch innerhalb der Familie hat Dolores das Sagen. Als sie von ihrer 15jährigen Tochter Selena erfährt, dass Joe sie missbraucht, beschließt sie bald, Joe loszuwerden.

Am Tag der Sonnenfinsternis 1963 gelingt es Dolores, Joe in einen Brunnenschacht stürzen zu lassen, wo er qualvoll stirbt. Sie wird nicht des Mordes angeklagt.

Die folgenden Jahre arbeitet Dolores als Zimmermädchen für die wohlhabende Vera Donovan, deren Ehemann 1960 tödlich verunglückte, und deren Kinder sie verlassen haben. Vera ist nach Aussage Dolores´ ein "Luder", eine Tyrannin, die allen Angestellten das Leben schwer macht. Doch über die Jahre verbindet die Frauen eine skurrile Freundschaft. Dolores übernimmt schließlich allein die Pflege der nach mehreren Schlaganfällen meist geistig abwesenden Mrs. Donovan.

Als diese eines Tages die Treppe hinunter stürzt und stirbt, erbt Dolores Veras Vermögen von über 30 Millionen Dollar. Plötzlich steht Dolores Claiborne wieder unter Mordverdacht.

Kritik

Mit "Dolores" geht Stephen King für seine Leser einen eher ungewohnten Weg.

In der Ich-Perspektive verfasst, ist der Roman ein einziger Monolog der 65 jährigen Dolores Claiborne. Die vereinzelten Einwürfe und Fragen der Anwesenden auf dem Polizeirevier sind nur aus den Erwiderungen Dolores´ zu erschließen.

Des Mordes verdächtigt legt Dolores ein umfassendes Geständnis ab, das auf Band aufgezeichnet wird. Sie will alles erzählen: Von ihrer Ehe, von ihrem Job bei Vera Donovan, die sie umgebracht haben soll, von dem Missbrauch ihrer Tochter und schließlich von dem Mord an ihrem Ehemann Joe vor 30 Jahren.

Doch King lässt seine Figur nicht chronologisch erzählen. Dolores stellt zunächst Vera Donovan vor, so wie sie die letzten Jahre vor ihrem Tod gewesen ist. Nach mehreren Schlaganfällen meist geistig abwesend, doch in ihren klaren Momenten immer noch die herrschsüchtige Tyrannin von einst. Dolores erzählt dann von ihrer Ehe mit Joe und schließlich vom Missbrauch an ihrer 15 jährigen Tochter durch den eigenen Vater. In dieser Zeit des Hasses auf Joe wird Vera Donovan zur Schlüsselfigur. Durch ihren Anstoß entschließt Dolores sich, ihren Mann zu töten. Die folgenden Jahre sind knapp zusammengefasst und Dolores schildert schließlich die Ereignisse des vergangenen Tages, als Vera in einem ihrer klaren Momente die Treppe hinabstürzte. Als Dolores erfuhr, dass sie als Alleinerbin eingesetzt worden ist, befürchtet sie zu Recht, wieder des Mordes verdächtigt zu werden und darum eine Aussage auf dem Revier zu machen.

King stellt uns die lebhafte, raue Dolores und ihr hartes Leben auf Little Tall Island vor. Er lässt uns verstehen, warum sie ihren Mann tötete und welche Freundschaft sie mit Vera Donovan verband. Doch unterschwellig bleiben Fragen offen: Inwieweit kann ein Mensch wie Dolores durch seine sozialen Verhältnisse zu einem Mord "gezwungen" werden und inwieweit ist diese mörderische Ader in ihrer Persönlichkeit verankert? Ließen die Umstände keinen anderen Ausweg zu oder genoss Dolores nicht doch den Rausch, den sie empfand, als sie Joe mit einem Sahnekrug schlug? Wie schwer fiel es ihr, ihm nicht mit einem Holzscheit den Schädel einzuschlagen? Ist der Entschluss zu einem Mord eine Folge der sozialen Konstellationen oder der individuellen Persönlichkeit? Diese Frage ist Dolores nicht bewusst und so kann sie auch nicht darauf antworten. Sie sagt nur: "Wer einen Mord begeht, weiß nie, was später auf ihn zukommt. Das ist der beste Grund, den ich kenne, keinen zu begehen."

"Dolores" ist ein äußerst lesenswertes Buch, auch wenn es nicht zu meinen persönlichen Stephen King-Favoriten zählt.

Ein Erzählmotiv mag für King-Fans noch interessant sein: Während der Sonnenfinsternis hat Dolores die Vision eines kleinen Mädchens, das in eben diesem Moment von ihrem Vater missbraucht wird. Sie zweifelt keinen Augenblick daran, dass dieses Mädchen existiert und sich ihre Vision tatsächlich so ereignet hat.

Wer Kings Roman "Das Spiel" (1993) einmal lesen sollte, wird dieses kleine Mädchen wiederfinden!

Ellen S. - myFanbase
08.05.2005

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