Bewertung
Karamsin, Nikolaj

Arme Lisa, Die

"Sei gegrüßt, du liebenswerter Schäfer! Wohin treibst du deine Herde? Auch hier wächst grünes Gras für deine Schafe, auch hier schimmern die Blumen rot, aus denen ich einen Kranz für deinen Hut winden kann."

Foto: Copyright: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH
© Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Inhalt

Die arme Lisa hatte es nicht leicht im Leben. Nachdem ihr Vater starb, musste sie alleine für sich und ihre Mutter sorgen, welche nicht mehr arbeiten konnte, da sie ihren Hof aus Kostengründen verkaufen mussten. Um zu Geld zu kommen, wob sie Leinen, strickte Strümpfe, im Frühling pflückte sie Blumen und im Sommer Beeren, was sie alles in Moskau verkaufte.

Eines Tages kommt ein edler, schöner und junger Mann vorbei, der ganz vernarrt in Lisa war. Sie trafen sich immer öfters, bis sie sich ihre Liebe gestanden. Doch Liebe währt nicht ewig. Der junge Mann, Erast genannt, musste weg, und sie sahen sich beide erst eine lange Zeit später in Moskau wieder. Doch zu Lisas Entsetzen war Erast mit einer alten Witwe verlobt...

Kritik

Noch bevor sich die Romantik in Europa ausbreitete, begann Karamsin mit herzergreifenden, emotionalen Erzählungen. In dieser Prosa über Lisa geht er komplett weg vom rationalen Denken und überlässt der Sentimentalität den Platz, auch wenn er es nicht in vielen Worten verfasst. Damit ist er ein Vorreiter des Sentimentalismus und der Romantik. Die Sehnsüchte und die Gefühle, welche er vermittelt, kann man nur dann verstehen, wenn man begreift, wie sich die Menschen des 18. und 19. Jahrhunderts, vor allem in Russland, verhielten und wie sie empfanden. Denn Karamsin beschrieb es selbst sehr passend: "Stil, Figuren, Metaphern, Bilder, Ausdrücke - sie alle berühren und bezaubern nur dann, wenn sie vom Gefühl beseelt sind; wenn dieses die Phantasie des Schriftstellers nicht entzündet, werden niemals meine Tränen, wird niemals mein Lächeln seine Belohnung sein."

Aber warum wurde "Die arme Lisa" damals so berühmt, wo sie doch nicht viel mehr hergibt, als das, was man uns heutzutage unentwegt im Fernsehen zeigt? Eine Liebesromanze, in der sich beide unsterblich verlieben, es aber dann zur Tragödie kommt. Man muss hierbei eine kleine Zeitreise in das russische Zeitalter der Leibeigenschaft unternehmen. Ein Großteil der Gesellschaft war dem Analphabetismus unterworfen, und das Leben war düster, schlimm und zeigte wenig Hoffnung auf eine Besserung. Gefühle konnte man wenig aufbringen. Lediglich für die eigenen Familienmitglieder.

Da kam Karamsin genau richtig, indem er seine pastorale Erzählung herausgab. Einige wenige kauften es, doch verbreitete man es mündlich weiter. Eine ganze Generation fühlte so mit Lisa mit, ein Großteil kannte ihre Geschichte auswendig, und einige glaubten schon, dass Lisa tatsächlich lebte.

Konträr muss man aber auch beachten, dass Karamsin einer der ersten war, der sich mit dieser Thematik befasste, und er legte einen Grundstein im Umdenken der damaligen Gesellschaft. Und auch heute noch beeinflusst er uns in Roman oder Geschichtserzählungen.

Fazit

Es steckt mehr als man vermutet in dieser kleinen Erzählung, und die meisten wissen gar nicht, dass diese ein Großteil der Unterhaltungsmedien inspirierte.

Ignat Kress - myFanbase
23.04.2008

Diskussion zu diesem Buch