Bewertung

Review: #3.16 Jimmy Edwards

Wie beurteilt man eine fiktionale Folge einer TV-Serie, die sich an so etwas gänzlich Reales und Erschütterndes wie ein Geiseldrama in einer Schule heranwagt? Eines kann man definitiv vorweg sagen, das kreative Team von "One Tree Hill" beweist Mut und sehr viel Vertrauen in seine Autoren, Darsteller und Fangemeinde, indem es sich diesem Thema widmet, gerade vor dem Hintergrund der diversen Amokläufe, die sich in der jüngsten Vergangenheit an Schulen überall auf der Welt ereignen und alle Beteiligten, ebenso wie die Menschen vor den Bildschirmen, mit Bestürzung zurückgelassen haben. Man hätte nun vermuten können, dass Gut und Böse in einem solchen Geschehen absolut schwarz und weiss gezeichnet worden wären. Wie könnte man auch nur im Entferntesten sowas wie Mitgefühl für einen Geiselnehmer empfinden? "One Tree Hill" nimmt diese Herausforderung an.

With Tired Eyes...

Jimmy Edwards ist ein Junge aus der ehemaligen Clique um Lucas Scott, bevor er durch seinen Eintritt ins Basketballteam Popularität in der Schule erlangt hat. Zwei seiner Freunde, Mouth und Skills, konnten davon profitieren und sind ebenso in der coolen Clique an der Tree Hill High akzeptiert worden. Jimmy blieb dabei auf der Strecke. Eindrucksvoll schildert er in dieser Folge seinen Geiseln, wie das Leben an der Schule für ihn ausgesehen hat. Wären die Jugendlichen in dem Klassenzimmer nicht seine Geiseln, ist jedem klar, dass sie auch nicht seine Zuhörer wären. Jimmy ist einsam, und wie grausam Teenager denen gegenüber sein können, die sie sich für ihr Mobbing auserkoren haben, haben wir, wenn nicht schon vorher, dann spätestens in den ersten Folgen bei "One Tree Hill" gesehen, als die Clique um Nathan es auf Lucas abgesehen hatte. Jimmy erklärt, dass die einzigen für ihn erträglichen Tage an der Schule die waren, wenn er von niemandem beachtet wurde. Und wie schwer das auf der Seele eines Teenagers lasten muss, kann man absolut nachvollziehen.

Den Auslöser für seinen Amoklauf bildet das öffentliche Abspielen des Videos, das für die Zeitkapsel vorgesehen war. Niemand sollte eigentlich sehen, wieviel Hass und Schmerz sich bei Jimmy angestaut hat, aber nachdem alle Schüler seine Kommentare gehört hatten, attackierten ihn manche noch mehr. Daher bringt er eines Morgens eine Waffe mit in die Schule und schießt auf einen der Jungs, die ihn wiederholt schikanieren. Er wirkt dabei allerdings nicht wahnsinnig, eiskalt oder hasserfüllt, sondern vielmehr völlig resigniert, desillusioniert und fertig mit der Welt. Er verfehlt sein Ziel aber und landet in einem Klassenzimmer mit seinen Mitschülern, die nicht wissen, dass er der Junge mit der Waffe ist. Schon bald aber gehen seine Nerven mit ihm durch, und er richtet die Waffe auf die anderen. Die Teenager reagieren unterschiedlich auf diese Situation. Einige sind vernünftig und versuchen, mit Jimmy zu diskutieren, manche erstarren vor Angst, ein anderer kaschiert seine Angst durch machohaftes Auftreten. Jede einzelne dieser Reaktionen wird von den Darstellern realistisch rübergebracht. Herausragend allerdings ist Colin Fickes Darstellung des Jimmy; er schafft es, seinen Charakter soviel Verzweiflung ausdrücken zu lassen, dass man, wenn auch sicherlich keine Sympathie für sein Handeln, dann doch zumindest Mitgefühl empfindet für die Dinge, die diesem Ausraster vorangegangen sind.

Eigentlich ist das, was in dieser Folge passiert, kein tatsächlicher Amoklauf, denn Jimmy erschießt nicht wahllos Menschen. Er will nur Aufmerksamkeit erregen und findet sich selbst in einer Situation wieder, aus der es kein Entkommen in ein besseres Leben gibt. Sein Gefühl und ebenso sein Gewissen lassen ihn letztlich menschlich handeln, denn er lässt seine Geiseln gehen, erschießt niemand anderen als sich selbst und hinterlässt den Zuschauer in einer Welle von Mitleid.

...Tired Minds...

Der wirklich grausamste aller Momente der gesamten Folge und auch der bisherigen Serie, folgt tatsächlich erst, als der vermeintliche Amokläufer bereits tot ist. Keith hat sich todesmutig in die Schule gewagt, um zu sehen, ob er irgendwie helfen und zumindest Lucas unversehrt zu Karen zurückbringen kann. Dan findet seinen Bruder über Jimmys Leiche gebeugt, der restliche Flur ist leer. Und was nun passiert, hat mir echt den Atem verschlagen. Dan greift nach Jimmys Waffe, zielt auf Keith und drückt ohne mit der Wimper zu zucken ab. Keith bricht leblos zusammen, ermordet von seinem eigenen Bruder. Als Überraschungsmoment war diese Szene phantastisch, mit nichts hätte ich weniger gerechnet! Für den weiteren Verlauf der Serie birgt diese Handlung seitens Dan unglaublich viel Potenzial. Er hatte immer wieder Momente, in denen er bei mir Sympathie hervorgerufen hat. Wird es solche nun nochmal geben können? Keith wird mir dagegen unheimlich fehlen! "One Tree Hill" im allgemeinen, und Karens und Lucas' Leben im besonderen, wird ohne ihn nie mehr dasselbe sein.

...Tired Souls...

Nathan und Lucas wagen sich in die Schule, die bereits weitestgehend geräumt wurde, nachdem der erste Schuss fiel. Nathan will Haley in Sicherheit bringen und Lucas folgt seinem Bruder. Leider trennen sich die beiden nach einer kurzen Lagebesprechung, lieber hätte ich es gesehen, wenn sie sich gemeinsam auf die Suche nach Haley und Peyton gemacht hätten. Das wäre eine Chance für schöne Bruderinteraktion gewesen, die man in der bisherigen Staffel viel zu wenig gesehen hat.

Lucas sieht Blut auf dem Fußboden, folgt der Spur und findet Peyton angeschossen in der Bibliothek. Dort teilen sie einen Moment der Intimität. Peyton wird durch den Blutverlust zusehends müder und ängstlicher. Sie gesteht Lucas ihre Liebe zu ihm und küsst ihn. Meines Erachtens ist diese Liebeserklärung durch die Extremsituation bedingt, denn auch wenn Lucas und Peyton sich wieder sehr gut verstehen, so käme es für mich sehr überraschend, wenn sich Peyton tatsächlich wieder in Lucas verliebt hätte. Dafür war ihre Geschichte mit Jake einfach zu schön, und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass da noch etwas kommt.

Nathan stößt zu Haley in dem Raum, in dem Jimmy die Schüler als Geiseln hält. Seine Anwesenheit bedeutet für Jimmy nur eine weitere Provokation, denn er sieht, wie der Basketballstar sich mit seiner Frau versöhnt hat und beide füreinander da sind. Brooke wiederum konnte die Schule rechtzeitig verlassen und sieht sich außerhalb des Geschehens mit verschiedenen Leuten konfrontiert, die bei ihr ein schlechtes Gewissen hervorrufen. Ihr wird klar, dass auch sie ein Mitglied der coolen Clique ist, die andere Mitschüler schlichtweg nicht wahrnimmt.

...We Slept

Erstaunlicherweise waren diesmal alle Handlungsstränge der Hauptcharaktere Nebensache, darin liegt allerdings auch direkt ein Kompliment an die Umsetzung dieser Folge. Die Hauptdarsteller treten neben der Message in den Hintergrund, und das hat mir gut gefallen. Die Episode setzt sich sehr respektvoll mit der Dramatik eines Geiseldramas an der High School auseinander, ohne dabei zu sehr auf moralisches Schubladendenken abzuzielen. Der Böse ist in "One Tree Hill" nicht der Junge mit der Waffe, sondern der Bürgermeister, der Mann, den die Stadt an ihre Spitze gewählt hat.

Nicole Oebel - myFanbase

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