Bewertung

Review: #2.11 Ein großer Tag

Rekapituliert man noch einmal die Folge #2.10 Eine Art Liebe, hatte man an #2.11 Ein großer Tag hohe Erwartungen. Der Vizepräsident der USA ist verstorben. Brody war maßgeblich an seiner Ermordung beteiligt und Carrie weiß davon. Das sollte in irgendeiner Form für Wirbel sorgen. Und zu guter Letzt läuft Abu Nazir, DER Top-Terrorist überhaupt und damit DER Bösewicht der gesamten Staffel, frei in Washington herum und ist anscheinend nicht auffindbar. Eigentlich interessante Ausgangspunkte für die aktuelle Episode. Doch so vielversprechend die auch klingen mögen, was die Autoren daraus gemacht haben, dürfte nicht jeden Zuschauer mit voller Zufriedenheit erfüllen.

"He's here. He's here!"

Nachdem das Ende der letzten Folge den Zuschauer buchstäblich im Dunkeln stehen ließ, hat man darauf gehofft, dass Carrie hinter der Tür des verlassenen Fabrikgebäudes irgendetwas Spannendes entdecken würde. Nichts da. Der Cliffhanger führt ins Leere und wird damit im Prinzip vollkommen überflüssig gemacht. Enttäuschend. Stattdessen läuft Carrie Quinn und einer Horde von TCA- und FBI-Leuten in die Arme, die auf scheinbar magische Weise innerhalb kürzester Zeit auf dem Fabrikgelände eingetroffen sind, um es nach Abu Nazir zu durchkämmen. Ganze zwei Mal durchforsten sie es – ohne auch nur die kleinste Spur zu finden. Der Gedanke liegt nahe, dass Nazir höchstwahrscheinlich verschwunden sein muss. Die Frage ist nur: wie? Natürlich: Er hatte einen Helfer. Es muss also irgendeinen Maulwurf geben. Und wer muss dafür herhalten: Danny Galvez! Ausgerechnet. Und warum? Weil er Moslem ist… Wenn das das einzige Kriterium ist, um jemanden zum potentiellen Terroristen zu deklarieren, dann gute Nacht… Aber wer weiß, wie weit hergeholt das tatsächlich ist? Vielleicht operieren US-amerikanische Geheimdienste genau auf Grundlage solcher oberflächlichen und vollkommen abstrusen Vorurteile?! Schon in #2.04 Zimmer 416 wurde diese Form der 'Ermittlung' in "Homeland" thematisiert: Als man Brody als Terrorist überführen wollte und deshalb alle Personen unter die Lupe nahm, mit denen er in Kontakt stand, hat man auf sehr ähnliche Ausschlusskriterien gesetzt. Ziemlich rassistisch. Aber vielleicht geht man in der Realität ganz genauso vor?

Doch zurück zu Nazir: Roya befindet sich inzwischen in Gewahrsam. Carrie versucht aus ihr etwas Brauchbares herauszubekommen. Stattdessen lässt Roya aber einen Satz fallen, der nicht nur haargenau auf Brodys Verhältnis zu Nazir passt, sondern in dem auch Carrie sich wiederfindet: "Have you ever had someone who somehow takes over your life, pulls you in, gets you to do things that aren't really you?" Ja, das dürfte Carrie bekannt vorkommen… Darüber hinaus gibt Roya fast nichts preis, was Carrie bei der Suche nach Nazir weiterhelfen könnte - außer: "Nazir wouldn't run." Nazir befindet sich noch immer in der Fabrik! Carrie nimmt die Dinge mal wieder selbst in die Hand und durchsucht noch einmal mit ein paar übrig gebliebenen Beamten das Fabrikgebäude – und entdeckt, oh Wunder, was dutzende von Leuten vor ihr offenbar übersehen haben: Nazirs Versteck. Dass Carrie mit so wenigen Männern nach Nazir sucht, ist noch irgendwo nachvollziehbar. Alle anderen Suchtrupps wurden eben bereits abgezogen, weil Nazir wahrscheinlich längst über alle Berge ist. Dass Nazir, als Anführer einer Terrorzelle, aber ganz allein, ohne irgendwelche 'Bodyguards' oder sonstige Verstärkung in einer Fabrik 'rumlungert'? Irgendwie nicht plausibel. Dass sich Carrie und der Beamte im Gebäude trennen? Macht genauso wenig Sinn und wird im wahren Leben so hoffentlich nicht vorkommen. Und dass Nazirs Versteck bei zweimaliger (!), vorheriger Durchsuchung unentdeckt bleibt? Reden wir nicht darüber. Für so etwas gibt es doch Spürhunde?! Auch nicht ganz verständlich: Wieso bringt Nazir den Beamten um und jagt Carrie anschließend durch das Gebäude? Zugegeben: Die Sequenz sorgt durchaus für Spannung. Man kam sich fast wie in einem Horrorfilm vor, in dem der Mörder direkt hinter dem ahnungslosen Opfer steht und man als Zuschauer nur rufen will: "Dreh dich um, dreh dich um!!!" Doch warum bringt Nazir Carrie nicht einfach um? Warum schlägt er sie 'nur' zu Boden? Natürlich will man nicht, dass Carrie stirbt. Aber das wäre für ihn doch die Gelegenheit gewesen?! Durch all seine unüberlegten (?) Aktionen lenkt er doch erst recht die Aufmerksamkeit auf sich und provoziert dadurch, dass er erschossen wird. Einem Top-Terroristen würde man mehr Cleverness zutrauen.

Zumindest geht damit einer der zentralen Handlungsstränge dieser Staffel, wenn nicht sogar der gesamten Serie, zu Ende. Carrie bringt es auf den Punkt: "He can't do anymore damage, to anyone." Fast zu einfach, möchte man meinen. Es handelte sich schließlich um den Staatsfeind Nr. 1. Und der lässt sich einfach so fangen und erschießen? Dass er seinen Tod in Kauf nehmen würde, es ihm also nichts ausmachen würde, für seinen Kampf gegen Amerika zu sterben, hat er in der letzten Woche bereits erwähnt. Dass das jetzt auf einmal aber auf so schnelle und scheinbar simple Weise der Fall sein würde, hätte wohl niemand gedacht.

Nicht unter den Tisch fallen lassen, sollte man Brodys Reaktion auf Nazirs Tod: Man weiß nicht so richtig, was Brody durch den Kopf geht. Wahrscheinlich wird er zwiegespalten sein. Jessica, Dana und Chris sind dabei, als er die Nachricht erhält. Für Brodys Familie war Nazir ein Monster, das nichts anderes als den Tod verdient hat. Für sie ist es eine Erleichterung. Aber für Brody? Für Brody war Nazir sehr viel mehr. Nazir selbst hat in der letzten Folge von einer Art Liebe gesprochen, die zwischen ihm und Brody besteht. Hier kommt wieder zur Geltung, was die Serie so gut kann: Zeigen, dass es mehr gibt als schwarz und weiß. Dass man nicht immer eindeutig zwischen gut und böse, richtig oder falsch unterscheiden kann, sondern dass es Grautöne, Zwischenstufen gibt. Irgendwo auf einer dieser muss sich Brody befinden. Für ihn war Nazir für viele Jahre wie eine Familie. Sein Tod kann also nicht spurlos an ihm vorübergehen. Leider wird dieser Ambivalenz nur in dieser einen kurzen Szene Raum gegeben. Dabei wäre es äußerst interessant gewesen, noch mehr von Brodys Betroffenheit und seiner inneren Zerrissenheit zu sehen. Bedauerlicherweise bleibt uns das verwehrt. Dafür erhalten wir einen Einblick in ganze andere Dinge, die Brodys Leben betreffen.

"It's all changed. Everything."

Brody und Jessica schaffen klare Fronten. Und das war an der Zeit. Besonders nachdem Jessica und Mike sich in der letzten Folge nahe gekommen sind und Brodys Affäre mit Carrie tatsächlich auf wahren Gefühlen basiert, und nicht nur darauf, sich gegeneinander auszuspielen. Die ganze Staffel über wurde immer wieder gezeigt, wie weit Brody und Jessica sich, trotz aller Bemühungen, voneinander entfernt haben. Er konnte sich ihr nie richtig anvertrauen. Was aber auch daran lag, dass sie ihm nie das Gefühl gegeben hat, Verständnis zu haben. Unbequeme Wahrheiten wollte sie nicht hören. Sie hat ihn zwar immer wieder angefleht, ihr zu sagen, was los ist. Aber wenn denn doch mal ein 'dunkles' Geheimnis ans Licht kam, wusste sie damit nicht umzugehen. Und auch in #2.11 passiert wieder genau das Gleiche: Als Jessica und Brody im Auto sitzen, sich trennen, gibt es einen Moment, in dem es den Anschein hat, als würde Brody ihr jetzt endlich die ganze Wahrheit sagen wollen. Was macht Jessica? Sie sagt ihm, dass sie sie nicht mehr wissen will. Schon wieder! Es zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Ehe. Jedes Mal, immer dann, wenn Brody den Mut gefunden hat, sich ihr zu öffnen, schlägt sie ihm die Tür vor der Nase zu. Und wahrscheinlich ist ihr das nicht einmal bewusst. Ihr wird vermutlich gar nicht klar sein, dass genau dieses Verhalten Brodys Geheimniskrämerei erst hervorgerufen hat. Was erwartet sie also von ihm? Mittlerweile nichts mehr. Genau wie Brody resigniert sie, gibt sich geschlagen und erkennt, dass ihre Ehe keinen Sinn mehr macht, dass Carrie ihren Mann inzwischen sehr viel besser kennt als sie selbst: "Carrie knows, right? She knows everything about you. She accepts it. She must love you a lot." Der schrittweise Verfall von Jessicas und Brodys Ehe ist eine der wirklich tollen Erzählstränge dieser Serie. Sehr authentisch wird nicht nur erzählt, sondern auch schauspielerisch umgesetzt, wie sehr sich die beiden Stück für Stück voneinander entfremden. Die Handlung ist in sich sehr stimmig, wirkt sehr glaubhaft, eben weil ihre Trennung als schleichender Prozess dargestellt wird. Ein Prozess, für den sich die Autoren Zeit ließen und der nun sein Ende gefunden hat.

Es bleibt abzuwarten, wie es für Brody in seiner Familie weitergeht. Einen leichten Stand hat er nicht. Besonders Dana zeigt sich, nachvollziehbarer Weise, sehr getroffen davon, dass Brody seine Familie hintenanstellt, dass ihm Carrie wichtiger zu sein scheint: "Why are you even here? Why do you not just go live with that crazy woman and leave us alone? (…) We are better off with Mike. All of us. He is a better father to us than you ever were.” Die Kluft zwischen ihm und Dana war noch nie größer. Ob er das jemals wieder kitten kann, ist fraglich… Vor allem, wenn man bedenkt, dass Brody ganz andere Probleme hat. Probleme, von denen er selbst noch gar nichts weiß.

"We don't make deals with terrorists."

Estes hält nach wie vor an seinem Plan fest, Brody auszuschalten, sobald Nazir aus dem Verkehr gezogen wurde. Der einzige, der ihm dabei im Weg steht, ist Saul. Erstaunlich ist, wie schnell man doch vom Freund zum Feind werden kann. Weil Estes befürchtet, dass Saul ihm einen Strich durch die Rechnung macht, ordnet er mal eben einen Lügendetektortest an. Er will irgendetwas gegen Saul in der Hand haben, um ihn erpressbar zu machen. Dabei hat Estes selbst mit Sicherheit sehr viel mehr Dreck am Stecken als Saul. Schon allein die Art und Weise, wie er die Sache mit Brody handhaben will, ist Beweis genug. Als Sauls Befrager Estes mitteilt, Saul hätte davon gesprochen, dass ein Kongressabgeordneter ermordet werden soll, hat man für einen kurzen Moment die Hoffnung, Saul würde den Spieß umdrehen und ein Hintertürchen finden, um aus seiner Misere heraus zu gelangen. DAS wäre eine tolle Wendung gewesen. Aber man hat dabei wohl die Rechnung ohne den Befrager gemacht. Denn der kehrt diese Information einfach mal eben unter den Teppich, als würde er nie etwas davon gehört haben. Warum auch immer. Da merkt man mal wieder, dass im Zweifelsfall wohl immer jeder sich selbst der nächste ist. Und man merkt, dass Saul eindeutig zu gut für die CIA ist. Oder Estes zu schlecht. Je nachdem aus welcher Warte heraus man es betrachtet… Da Saul also offenbar rein gar nichts ausrichten kann, ohne seinen eigenen Kopf zu riskieren, hängt jetzt alles an Quinn, der den Mord an Brody ausführen soll. Und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass der sich seiner Sache gar nicht mehr ganz so sicher ist.

Fazit

In #2.11 Ein großer Tag werden zwei wichtige Erzählstränge zu Ende geführt, die "Homeland" seit Beginn der Serie beschäftigen: Jessicas und Brodys Ehe ist gescheitert und Abu Nazir ein für alle Mal ausgeschaltet. Was so gut wie gar kein Thema gewesen ist (jedenfalls kein großes), ist der Tod von Walden - immerhin der Vizepräsident der Vereinigten Staaten. Da möchte man doch meinen, dass der Tod eines derart mächtigen Mannes, irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht. Hätte das also nicht eigentlich ein wesentlicher Bestandteil dieser Episode sein müssen? Stattdessen sehen wir Brody in Pyjama-Hose rumstehen, als ob der Mord nie geschehen wäre. Und Carrie? Die hat offensichtlich auch keine großen Gewissensbisse. Aus ihrer Sicht hat Brody getan, was er tun musste, um sie aus den 'Fängen' Abu Nazirs zu befreien. Und das nur aus Liebe zu ihr. Etwas kitschig. Etwas eindimensional. Und etwas zu einfach, das Ganze. Und hoffentlich nicht alles, was wir diesbezüglich geliefert bekommen. Alles, was also noch für das Staffelfinale bleibt, ist die Liquidierung Brodys. Es sei denn die Serienmacher zaubern noch irgendetwas anderes Spannendes aus dem Hut.

#2.11 Ein großer Tag mag zwar an der einen oder anderen Stelle etwas fragwürdig erscheinen. Wenn man darüber jedoch hinwegsieht und hofft, dass offene Fragen in der nächsten Episode geklärt werden, konnte man sich durchaus gut unterhalten fühlen. Will das Finale von Staffel 2 jedoch mit dem aus Staffel 1 mithalten, dürfen die Autoren ruhig noch eine Schippe drauf legen.

Franziska G. - myFanbase

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