Bewertung

Review: #6.11 Griff nach dem Strohhalm

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Good Wife
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Ein Hail Mary Pass bezeichnet im American Football einen (meist verzweifelten) Spielzug kurz vor dem Spielende, bei dem ein langer Vorwärtspass in die gegnerische Endzone versucht wird, um das eigentlich schon verloren geglaubte Spiel noch in letzter Sekunde zu gewinnen.

Genau dieser Spielzug steht sinnbildlich für den letzten Strohhalm an den sich Diane und Kalinda in Carys Fall nach dessen Schuldeingeständnis im Midseason-Finale noch klammern. Wie aus heiterem Himmel erfährt Kalinda durch Lemond Bishop von einem möglichen Ausweg für Cary, wodurch ein spannender und dramatischer Wettlauf gegen die Zeit entsteht, da dieser noch am Abend in die Haftanstalt überführt und damit das Strafmaß unanfechtbar werden soll. Daneben spielt aber auch der zeitliche Faktor in Kalindas aufopferungsvollen Kampf für Carys Freiheit eine tragende Rolle, den sie letzten Endes jedoch verliert, indem sie durch ihr hohes eingegangenes Risiko in Zweierlei Hinsicht zum tragischen Verlierer der Geschichte wird.

Dass man Cary jetzt nicht ohne weiteres ins Gefängnis wandern lässt, war sicherlich eine vorhersehbare Entwicklung, schließlich haben wir ihn dort schon in Untersuchungshaft erlebt und "Good Wife" ist und bleibt nun einmal eine Serie im Milieu von Anwälten und Politik. Da will man sicher nicht noch eine Gefängnisnebenhandlung aufmachen, in die dann nur wenige bis gar keine der Hauptcharaktere eingebunden sind. Diesbezüglich muss man meines Erachtens schon im aktuellen Geschehen der laufenden sechsten Staffel aufpassen, dass nicht dauerhaft zwei völlig voneinander losgelöste Geschichten erzählt werden. Alicias Involvierung in Carys Fall ist letzten Endes doch nur sehr marginal und im Gegenzug sind ihre Kanzleikollegen nicht in ihren Wahlkampf eingebunden. Aber auch wenn eine Freilassung von Cary abzusehen war, tat es der Spannung keinen Abbruch, in welcher Art und Weise die Autoren dies letztendlich in die Wirklichkeit umzusetzen gedachten. Zeitdruck war in der Serie schon wiederholt ein probates, erzählerisches Mittel, um den Zuschauer an den Bildschirm zu fesseln und mit den Charakteren mit zu fiebern und durchaus auch zu leiden.

Nun wusste die Entwicklung der Geschichte aber nicht nur zu überzeugen, sondern auch zu überraschen. Ich hatte eigentlich eher erwartet, dass die Affäre von Geneva Pine mit dem Polizeizeugen, die ja in #6.10 The Trial kurz ein Thema war, möglicherweise ein Stolperstein für sie und damit auch ein Aufhänger für die Anfechtung des Verfahrens sein würde. Doch der erzählerische Kniff, Kalinda als Schlüsselfigur in der ganzen Sache einzusetzen gefiel mir wesentlich besser, wenn auch einige der neuen Indizien und Anknüpfungspunkte aus heiterem Himmel kamen. Ich denke da vor allem an den von Carey Nummer 2 aufgedeckten Vertuschungsversuch des zweiten anwesenden Cops. Das hätte man doch beim Durchgehen des Protokolls auch schon früher aufdecken müssen. Das minderte in diesem Augenblick aber die Spannung kein bisschen und ist damit verziehen. Irgendwie hatte es ja auch etwas, dass ausgerechnet der eine Carey dem anderen Cary hilft. Verwunderlicher war dagegen vielmehr, dass im Zuge der eiligen Ermittlungen nicht die bereits seit Wochen "verschollene“ Robyn zum Einsatz kam. Da wäre doch wirklich ein zusätzlicher Ermittler hilfreich gewesen. Das ist ein wenig schade um ihre Figur. Ganz ähnlich verhält es sich meines Erachtens auch mit Clarke Hayden, wo doch gerade er und Cary immer ein ganz besonderes Verhältnis pflegten wäre seine Anwesenheit zumindest in dieser Folge ein schönes Zeichen der Unterstützung gewesen.

Aber zurück zu Kalinda, der eigentlichen tragischen Heldin der Folge. Im Katz und Maus Spiel mit Lemond Bishop hat sie sich auf jeden Fall zu viel vorgenommen und zugetraut und hat am Ende haushoch verloren, auch wenn die finale Konsequenz noch gar nicht gezogen wurde. Einen Mann wie Bishop erpresst man jedenfalls besser nicht, wie Kalinda mit der Falschaussage des letzten überlebenden Zeugen des abgehörten Treffens von Cary und Bishops Männern am eigenen Leib erfahren musste. Das Entsetzen war ihr im Gesicht mehr als deutlich abzulesen. Da brach eine Welt für sie zusammen. Überspitzt gesagt hat sie ihre Seele an den Teufel verkauft und hat am Ende gar nichts davon. Cary kam zumindest nicht durch den Handel mit Bishop frei und nun ist sie ihm also einen Gefallen schuldig, der sie möglicherweise teuer zu stehen kommen wird. Ich kann mir gerade auch gar nicht vorstellen, was er von ihr verlangen könnte. Ein ganz fieser und emotionaler Cliffhanger, der uns da geboten wird. Im Freudentaumel von Cary und Co ist sie mit dem zeitgleichen Anruf von Bishop an einem ganz dunklen Punkt angelangt. Und dabei ist ja auch noch die Tragik nicht zu vergessen, dass ausgerechnet ihr Notanker, die Fälschung der Mailprotokolle, zum Freispruch führte und nicht der von Cary Nummer 2 erbrachte Beweis, dass die Staatsanwaltschaft Beweismittel unterschlagen hat ("brady violation"). Da brauen sich ganz dunkle Wolken über Kalinda zusammen, denn auch die Beweisfälschung kann ja durchaus noch wie ein Bumerang auf sie zurückfliegen.

Der Tag war natürlich auch für Cary eine emotionale Achterbahnfahrt. Eben noch mit einem Bein im Knast und beim "Überlebenstraining" ("don't trust the girlfriend"), ein plötzlicher Hoffnungsschimmer durch Alicias Anruf, die Enttäuschung durch die Falschaussage des Zeugen und am Ende doch das erhoffte Last-Minute-Wunder. "Hail Mary"–Pass versenkt. Matt Czuchry konnte in der Folge noch einmal überzeugend sein komplettes Repertoire an emotionalen Minenspiel aufbieten. Ich konnte jedenfalls in jeder Sekunde mit ihm mitleiden und mitfiebern. Kurz hatte ich tatsächlich noch Angst, dass er vielleicht doch die Flucht ergreifen könnte. Ein böses Spiel mit dem Zuschauer. Aber wie er selbst bekannte, Anwaltwerden und das Recht vertreten war sein Traum und er bleibt den Regularien seines Berufs und damit dem Gesetz treu und erscheint vor Gericht. Das wird mit Freispruch belohnt und eine ganze Steinlawine fällt ihm von Herzen, als er sich überglücklich bei Kalinda bedankt, die im gleichen Moment ihren persönlichen Tiefpunkt erleben muss.

Gegenüber der Cary-Story fiel der Erzählstrang um Alicias Vorbereitung auf die Debatte mit Frank Prady doch deutlich ab. Mir will auch nicht ganz einleuchten, warum man es nicht wenigstens in dieser Folge hinbekommen hat, Alicia mehr Screentime in der Cary-Handlung einzuräumen. Es gab in der ersten Staffelhälfte nur wenige Szenen, in denen Alicia und Cary aufeinandertrafen und sie an seinem Schicksal Anteil nahm. Das waren meist starke Szenen und dennoch waren sie rar gesät. Selbst hier war dies nur kurz zu Folgenbeginn der Fall. Womöglich hat das auch damit zu tun, dass Julianna Margulies und Archie Panjabi aus nicht näher bekannten Gründen keine gemeinsamen Szenen mehr haben. Das ist schade im doppelten Sinn, da es dem Zuschauer auf Dauer durchaus auffällt, wenn zwei zentrale Figuren der gleichen Kanzlei nicht miteinander agieren und vor allem auch, weil Alicia und Cary im Serienverlauf zusammen eine wichtige Entwicklung durchgemacht haben und dann ausgerechnet dieser so entscheidende Moment nicht gemeinsam erlebt wurde.

Die Debattenprobe selbst brachte den Handlungsstrang kaum voran. Der engagierte Professor "auf Droge" sollte zusammen mit Marissa wohl als comic relief dienen, zündete bei mir aber überhaupt nicht. Dass Alicia und Finn eine gute Chemie haben, erleben wir auch nicht zum ersten Mal und die Diskussion mit Peter zeigte einmal mehr, wie unsympathisch und egoman der eigentlich ist. Alicia konnte hier zwar deutlich punkten, aber ihn nicht davon überzeugen, für gute Haftbedingungen für Cary zu sorgen. Ich weiß nicht was schlimmer ist, das Amt zu nutzen um einem Freund der eigenen Frau zu helfen oder ausgerechnet in dem Punkt zu kneifen, wo doch die Gefahr des Auffliegens seiner außerehelichen Affäre viel größer erscheint.

Mich hätte übrigens die Szene als Kalinda noch im Gerichtssaal den Anruf von Lemond Bishop erhielt als Cliffhanger und Schluss der Folge wesentlich mehr überzeugt als der doch etwas seltsam erzwungen und aufgesetzte Kuss von Alicia, den sie dem recht verdattert dreinschauenden Johnny Elfman in der Tiefgarage verpasste. Der Moment wollte für mich überhaupt nicht funktionieren, war meines Erachtens außerdem völlig unnötig und wird hoffentlich auch keine weitere Rolle mehr spielen. Da drängt sich mir spontan viel eher noch eine Frage auf: Wie zum Teufel soll man in dieser Tiefgarage sein Auto ausparken?

Fazit

#6.11 Hail Mary zeigt deutlich auf wie parallel und mit nur wenigen Überschneidungen die zwei Haupthandlungsstränge in dieser Staffel bislang abliefen. Das tut letzten Endes der nervenaufreibenden Spannung im Wettlauf mit der Zeit in Sachen Cary aber keinen Abbruch und macht diese Folge damit dennoch zu einem Highlight der laufenden Season. Jetzt bin ich absolut gespannt, welche Konsequenzen für Kalinda ins Haus stehen werden. Auf die Schwächen bei der Integration von Alicia in den Prozess und auch ihrer Kandidatur habe ich bereits hingewiesen. Diese können den Gesamteindruck für mich aber nur marginal trüben und sind daher zu vernachlässigen.

Jan H. - myFanbase

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