Bewertung

Review: #1.10 Überraschung

Foto: Jemima Kirke, Girls - Copyright: 2012 Home Box Office, Inc. All Rights Reserved.
Jemima Kirke, Girls
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Das Finale der ersten Staffel "Girls" ist gekommen, einer Serie, die sicherlich viel frischen Wind in die Serienwelt gebracht hat und Charaktere erschaffen hat, die in ihrer Ambivalenz Komplexität und Kontroversität zu den momentan interessantesten Figuren im televisionären Bereich überhaupt zählen. Die Mischung aus irrsinnigem und schrägen Humoreinlagen, vielschichtigem Generationsportrait und tiefgehenden Dramaeinlagen ging voll auf und wurde perfektioniert durch einen ganz eigenen visuellen Style, einer großartigen Musikauswahl und pointiert geschriebenen Dialogen. Lena Dunhams Serienprojekt macht es sicherlich nicht immer allen Recht, ist aber auch gerade deswegen, um so interessanter. Das Serienfinale versucht nun viele der sich über die Staffel entwickelnden Handlungsbögen irgendwie zusammenzuführen und den Grundstein für die zweite Staffel zu legen. Das gelingt insgesamt recht gut, auch wenn die Folge in ihrer Gesamtheit leicht überfrachtet wirkt.

"Not only did I find you very creepy, but I found you also really boring."

Die größte Überraschung dieser Folge ist sicherlich die plötzliche Hochzeit von Jessa mit Thomas-John, den wir in der insgesamt besten Folge der ersten Staffel #1.08 Weirdos need gilfriends too kennengelernt haben und bei dem es nicht den Eindruck gemacht hat, dass er noch einmal auftauchen würde. Doch die Erwartungen wurden hier geschickt unterlaufen und so steht Jessa plötzlich mit dem Mann vor dem Traualtar, den sie vorher fast schon abstoßend fand. Doch die Beiden haben sich doch nochmal getroffen und dann irgendwie ineinander verliebt. Die ganze Hochzeitsangelegenheit Jessas irritiert nicht nur alle anwesenden Gäste auf der überraschenden Trauung, sondern auch den Zuschauer. Denkt man aber ein wenig länger über die Handlungsentwicklung nach, so macht dies im Rahmen der Entwicklung der Figur der Jessa im Laufe der ersten Staffel durchaus Sinn: Von ihrer falschen Schwangerschaft, bis zu dem Gespräch mit Katherine in der letzten Folge war der Grundkonflikt, mit dem sich Jessa stets versuchte auseinanderzusetzten der des endgültigen Erwachsenwerdens und der der persönlichen Weiterentwicklung. Sie ließ sich über die halbe Welt treiben, hatte nie einen wirklichen Job oder einer wirklich ernsthafte, längerfristige Beziehung. Sie weiß nicht wohin mit sich selbst und ihrem Leben und wer sie schlussendlich wirklich sein will. Als dann Thomas-John auftaucht und ihr eine irgendwie geartete Perspektive bietet mit ihrem Leben irgendwo weiterzukommen und vielleicht ein Mindestmaß an Stabilität zu erreichen, nimmt sie dies natürlich dankend an.

Die Ehe wird hier als sicherer Hafen in Zeiten der Instabilität präsentiert, ist schlussendlich aber vielleicht doch nur eine Illusion, denn das eine Person wie Jessa von einem Tag auf den anderen ihr wildes und chaotisches Leben über Bord wirft und die klassischen Rollenerwartungen einer Ehefrau erfüllt ist eher unwahrscheinlich. Es wird in der zweiten Staffel spannend zu sehen sein, wie sie diese Rolle ausfüllt und ob sie die überhaupt ausfüllen kann oder auch will und wie ihr diese Ehe überhaupt in ihrer persönlichen Entwicklung weiterhelfen kann. Jessa bleibt weiterhin eine wahnsinnig spannende, aufregende und ambivalente Figur, auf dessen weitere Entwicklung man sich wirklich freuen kann. Gefreut habe ich mich persönlich auch sehr darüber, dass der fantastische Chris O'Dowd der Serie wohl noch eine Weile erhalten bleiben wird.

"We should just, like, go fuck in the bathroom"

Das große Überthema dieser Serie ist der Umgang mit persönlicher Unsicherheit und Orientierungslosigkeit in einem Alter, in dem man langsam erwachsen werden soll, man aber trotzdem nicht weiß wie man das in der heutigen Zeit, in denen Stabilitäten und Kontinuitäten wegbrechen überhaupt bewerkstelligen soll. Marnie erschien da immer als ein Charakter, der im Kontrast zu den anderen ein viel klareres Ziel verfolgt und viel eher weiß, was sie vom Leben will und wer sie später einmal sein will. Sie schien nicht von so vielen Ängsten infiltriert, wie Hannah und wirkte auch nicht so verloren wie Jessa. So verloren wie in diesem Staffelfinale wirkte sie im Kontext der Serie daher noch nie: Sie weiß zwar irgendwie, was sie will, weiß aber trotzdem nicht, wie sie diese Ziele und Vorstellungen in die Realität umsetzten kann. Im Staffelfinale zieht sie nach dem Streit mit Hannah in der letzten Folge aus dem gemeinsamen Apartment aus und zieht vorübergehend bei Shoshanna ein. Sie verfügt also momentan weder über einen festen Wohnsitz, noch ist sie in einer festen Beziehung und so wirkt sie in dieser Folge einfach nur ratlos und verloren. Die strengen Maßstäbe, die sie an sich selbst und auch ihre Umwelt setzt, kann sie nicht wirklich erfüllen und so verliert sie sich in spielerischen Flirts mit Charlie, die dann irgendwie vielleicht doch ernster gemeint sind, als sie sich vielleicht eingestehen will und beginnt auf der Hochzeit ihren Selbstwert damit zu stärken, indem sie beginnt mit dem dicklichen und witzigen besten Freund von Thomas-John herumzumachen, von dem sie genau das bekommt, was sie erwartet. Die erste Staffel endet für Marnie also mit einem klaren Schnitt und der Möglichkeit eines Neuanfangs. Die zweite Staffel wird zeigen, inwiefern Marnie ihren persönlichen Zielen gerecht werden kann. Aufgrund der zahlreichen Nebenhandlungen dieser Folge gab Marnie aber insgesamt etwas zu kurz und auch die Folgen des Streits mit Hannah fielen leider insgesamt ein wenig herunter. Trotzdem wird auch Marnie ein durchaus konsequenter und nachvollziehbarer Abschluss ihrer Charakterentwicklung in der ersten Staffel gewährt.

"Everyone's a dumb whore"

Der Charakter, der sich in der ersten Staffel nicht wirklich richtig entfalten konnte, da diesem viel zu wenig Screentime eingeräumt wurde, ist der der Shoshanna, die aufgrund ihrer erfrischend unorthodoxen und quirligen Art der Serie in ihren wenigen Auftritten aber stets sehr gut tat. Ihr persönliches Thema war der Umgang mit ihrer Jungfräulichkeit, welches schließlich im Staffelfinale auch den vorläufigen Abschluss findet, in dem sie endgültig mit Ray anbandelt. Ray und Shoshanna sind beide im Grunde als erweiterte Nebencharaktere einzustufen, die zusammen aber durchaus eine gute Chemie haben und von denen man in der nächsten Staffel gerne noch mehr sehen würde. Der Fokus der Serie ist insgesamt schon stark auf Hannah und mit Abstrichen auf Marnie und Jessa gerichtet, ein mehr ausgewogenes Verhältnis, in der auch Shoshanna noch mehr zur Geltung kommen würde, sind ein Umstand, den Lena Dunham und ihr kreatives Team hoffentlich in der nächsten Staffel umsetzten werden.

"Well you are pretty and you are a good writer and you are a good friend."

Die zentrale Hauptfigur der Serie ist eindeutig Hannah und in dieser Hinsicht kann der Serie wirklich mal ein kleiner Vorwurf gemacht werden, denn der Titel der Serie ist eindeutig "Girls" und nicht "Girl". Trotzdem sind die gezeichneten Entwicklungen Hannahs und auch die Darstellung des Charakters im Allgemeinen in der Premierenstaffel äußerst gelungen und so trägt sie diese Serie insgesamt auch ziemlich gut. Die Pilotfolge begann mit der Streichung der elterlichen finanziellen Unterstützung, die Hannah dazu brachte den Versuch zu starten ihr Leben selbst ohne Unterstützung auf die Reihe zu bekommen, was ihr mal mehr, mal wieder gut gelang. Einen recht großen Raum hat in der ersten Staffel sicherlich die Entwicklung ihrer Beziehung zu Adam eingenommen. Der Charakter des Adam war dann auch diejenige männliche Figur, die am stärksten herausgearbeitet wurde und die auch die weiteste Entwicklung durchmachte. Eingeführt als recht rücksichtslos wirkender, leicht pervers angehauchter Sonderling entwickelte sich Adam zum interessantesten, vielschichtigsten und auch sympathischsten Charakter dieses Serienuniversums. Die letzte Folge konzentriert sich dann auch ganz stark auf diese Beziehung und ihren vorläufigen Untergang, für den Hannah im Grunde die alleinige Verantwortung trägt.

In der Entwicklung ihrer Beziehung zu Adam machte es zunächst den Anschein, als ob Hannah diejenige wäre, die sich stark nach einer "normalen" und stabilen Beziehung sehnt. Schlussendlich ist es aber dann doch Adam, der viel mehr für die Beziehung kämpft, der mehr Emotionen und Empathie zeigt. Hannah hingegen kommt aus ihrem eigenen, kleinen Lebenskosmos nicht raus, kommt schlussendlich auch mit dem Führen einer Beziehung nicht klar und verliert damit schlussendlich nicht nur Marnie als Mitbewohnerin, sondern auch Adam. Das Hannah auf das Angebot Adams bei ihr einzuziehen nicht eingeht, nicht mit ihm näher darüber spricht und schließlich dann sogar aktiv Elijah fragt, ob er bei ihr einziehen will, ist mehr als unsensibel und zeugt von einer großen empathischen Schwäche. Hannahs Verhalten wird weiterhin stark geprägt von diversen unterbewussten und bewussten Ängsten, von Selbstzweifeln und auch Selbstzerstörungsmechanismen, die immer dann einsetzten, wenn gerade eine positive Entwicklung in ihrem Leben stattfindet. Die Staffel schließt dann mit einem Bild purer Verlorenheit und Einsamkeit. Hannah hat schlussendlich in der letzten Einstellung nur noch sich selbst und einen Kuchen und weiß immer noch nicht, was das alles soll. Das Leben. Beziehungen. Liebe. Glück. Persönliche Ängste. Hannahs Angst sich ganz fallen zu lassen, sich einer Beziehung ganz hinzugeben und einen Schritt weiter zu gehen kann sie schlussendlich also nicht überwinden.

Fazit

Im Finale der ersten Staffel werden alle aufgemachten Handlungsstränge gut wieder aufgegriffen und auf größtenteils nachvollziehbare und einfühlsame Art und Weise zu einem vorläufigen Ende geführt und gleichzeitig die Weichen für die nächste Staffel gestellt. Trotz leichter thematischer Überfrachtungen also ein guter, der Serie würdiger Abschluss.

Moritz Stock - myFanbase

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