Bewertung

Review: #4.02 Eine Nacht im Oktober

Foto: John Noble, Fringe - Copyright: Warner Bros. Entertainment Inc.
John Noble, Fringe
© Warner Bros. Entertainment Inc.

Tun wir es einmal Alistair Peck aus #2.18 Die weiße Tulpe gleich, bauen einen Faradayschen Käfig um uns herum, stellen eine quintische Gleichung auf und reisen ein Jahr zurück in die Vergangenheit. Wir befinden uns im Oktober 2010 und gerade lieferte uns "Fringe" mit #3.03 Milo eine ganz besonderes Episode ab: Problemlos war es der Serie gelungen, das erste Mal in ihrer Geschichte komplett auf das uns vertraute "Fringe"-Team zu verzichten und stattdessen die Handlung im Paralleluniversum spielen und das alternative "Fringe"-Team an einem Fall arbeiten zu lassen. Es gab also keinen Walter, keinen Peter, keine wirkliche Olivia, stattdessen Alt-Lincoln Lee, Alt-Charlie und eine Olivia, die im Glaube war, Bolivia zu sein. Vor der Ausstrahlung dieser Episode gab es seitens der Fans Zweifel, ob das gut gehen würde. Doch nach der Ausstrahlung zeigten sich sowohl Fans als auch Kritiker begeistert von der Episode; die Internetseite "TheFutonCritic", die immer am Ende eines jeden Jahres ein Ranking der 50 besten Episoden des Jahres aufstellt, wählte #3.03 gar unter die besten 30 (#2.16 Peter wurde im Übrigen auf selbiger Liste auf den neunten Platz gewählt).

Springen wir wieder in die Gegenwart. Die verträumt klingende Episode #4.02 One Night in October macht den Zuschauern oberflächlich betrachtet das Leben schwer – zumindest denen, die hauptsächlich wegen Walter, dessen Szenen mit Peter oder der Beziehung zwischen Peter und Olivia eingeschaltet haben. Denn diesbezüglich hat "Fringe" momentan nichts mehr mit der Serie zu tun, die im vergangenen Frühjahr unter dem gleichen Titel lief. Wieder stehen die Zuschauer vor Neuland, an das sie sich erst noch gewöhnen müssen. Und damit das einfacher fällt, zeigen uns die Autoren erneut, dass sie trotzdem wissen, wie sie die Zuschauer verdammt gut entschädigen können. Was in #3.03 Milo funktionierte, funktioniert ein Jahr später erneut hervorragend, nämlich der Fall und die Arbeit mit den Charakteren.

"These crimes weren't committed over here. We've been asked to assist on this case. Is that going to be a problem?"

Im Staffelauftakt #4.01 Neither Here Nor There hat man uns gemächlich an die Realität ohne Peter gewöhnt, konzentrierte sich auf die damit verbundenen Auswirkungen auf die Charaktere und führte Lincoln Lee als neuen Ermittler innerhalb des "Fringe"-Teams ein. In den Hintergrund geriet die Geschichte um die Brücke zwischen den beiden Universen, was nach Peters Verschwinden wohl der wichtigste Faktor dieser Staffel sein wird. In #4.02 fokussierte man sich nun endlich auf jenes, auf das viele wohl bereits gespannt waren, nachdem in #3.22 Der Tag, an dem wir starben eine Brücke zwischen beiden Universen zustande kam und sich Olivia und Bolivia, sowie Walter und Walternate gegenüberstanden, nämlich auf die Zusammenarbeit zwischen unserem Universum und dem anderen.

Die Idee, die beiden Teams gemeinsam an einem Fall arbeitet zu lassen, war schlicht grandios und strotze nur so vor zahlreichen guten Szenen. Besonders die Szenen zwischen Olivia und Bolivia kristallisierten sich als Highlight heraus, denn ihre bissige Umgehensweise miteinander wusste zu gefallen und es war wieder einmal erstaunlich, wie meisterhaft Anna Torv die beiden Olivias darstellt und man anhand nuancierter Details in Mimik und Redeart sofort die Unterschiede erkannte. Auf die Beziehung zwischen den beiden Charakteren sollte man in dieser Staffel ein ganz besonderes Augenmerk legen, denn auch wenn vordergründig besonders seitens unserer Olivia ganz klar leichter Hass im Spiel ist, so bekommt man das Gefühl nicht los, dass die beiden sich früher oder später gegenseitig zu tolerieren wissen. Interessant war im Übrigen auch Bolivias Blick, nachdem sie erfahren hat, dass Olivia ihren Stiefvater ermordet hat, denn in dem Moment merkte man, dass Bolivia Olivia wohl eindeutig fehleingeschätzt hat. Bisher fühlte sich Bolivia ihr immer überlegen, doch wird ihr langsam klar, dass in Olivia mehr steckt?

Auch war es schön, den Rest des roten "Fringe"-Teams mal wieder zu Gesicht zu bekommen, insbesondere die Szenen zwischen Alt-Lincoln und Bolivia waren wie immer unterhaltsam. Ach, und die Überraschung schlechthin: Alt-Broyles ist noch am Leben! Dass das Verschwinden Peters so weitreichende Konsequenzen haben würde, hätte ich nicht erwartet, aber dazu kommen wir später noch. Herrlich war Alt-Lincolns Erklärung, weshalb Alt-Charlie nicht mit von der Partie war. Dieser hat nämlich Mona Foster geheiratet, die etwas durchgeknallte Insektenspezialistin aus #3.13 Unsterblich, was ein wirklich witziger Gimmick war. Und wie es scheint, wurde Walternate offenbar auch aus der Zeitlinie entfernt? Nein, mal ernsthaft: Gerade auf Szenen zwischen ihm und Walter war ich gespannt, aber uns bleiben nicht nur jene verwehrt, sondern überhaupt ein Auftauchen seines Charakters, obwohl es wahrlich genug sinnvolle Chancen gegeben hätte, ihn einmal auftauchen zu lassen.

"I've always thought that there are people who leave an indelible mark on your soul - an imprint that can never be erased."

Die Ermittlungen der beiden Teams drehten sich um den Serienkiller John McClennen und um dessen Aufenthaltsort im Paralleluniversum ausfindig machen zu können, greifen sie auf die Hilfe seines Pendants zurück, der "over here" ein angesehener Professor für Kriminalpsychologie ist. Hier ein Kompliment an den Darsteller John Pyper-Ferguson, denn auch er konnte seine Doppelrolle mehr als überzeugend verkörpern, wobei besonders die Darstellung des alternativen Johns beeindruckte.

Wie so oft bei "Fringe", weist der Fall so einige Parallele zu einer anderen Storyline auf, in diesem Fall zu der Storyline um das Verschwinden von Peter. Anhand des Falls wurde gezeigt, wie sehr das Leben einer Person anders verlaufen kann, wenn ein Mensch niemals in dessen Leben tritt. So auch bei den beiden Johns: Während der John aus unserem Universum als Kind eine Frau namens Marjorie kennen gelernt hat, die ihn aufnahm und all die Qualen vergessen ließ, die ihm sein gewalttätiger Vater angetan hatte, so traf der John aus der anderen Seite niemals auf Marjorie und war somit weiterhin seinem Vater ausgesetzt und erfuhr nie, was Glück bedeutet. Die Folge: John führt ein zufriedenes Leben, während Alt-John Menschen tötet und deren glücklichen Gedanken extrahieren muss, um selbst für eine kurze Zeit so etwas wie Glück zu empfinden. Vielen missfällt es vielleicht wieder, dass "Fringe" mit solch offensichtlichen Parallelen arbeitet. Mich zumindest hat es in dieser Folge kaum gestört, denn dafür war der Fall viel zu einfühlsam und überzeugend geschrieben, auch wenn er gegen Ende recht vorhersehbar wurde.

Die Parallelen zu Peters Verschwinden waren eindeutig: Auch Peters Nichtexistenz hat Auswirkungen, das wurde uns bereits im Staffelauftakt deutlich gemacht und wird in dieser Folge weiter veranschaulicht. So lebt Alt-Broyles noch, Bolivia ist noch mit Frank zusammen und Olivia hat ihren Stiefvater ermordet. Während die ersten beiden Veränderungen relativ einleuchtend sind, bleibt es doch fraglich, was Peter damit zu tun hatte, dass Olivia ihren Stiefvater nicht tötete. In #1.06 Das Heilmittel erzählte Olivia Peter, dass sie auf ihren Stiefvater schoss, er seine schweren Verletzungen jedoch überlebte. Inwiefern hatte Peters Existenz dies beeinflusst bzw. anders gefragt: Weshalb stirbt Olivias Stiefvater an den Verletzungen, nur weil Peter nicht existiert? Wittere ich da etwa einen kleinen Drehbuchfehler?

Derweil spaltet die Story rund um Peter die Fangemeinde und oftmals wird die mangelnde Logik kritisiert oder sich die Frage gestellt, ob die ganze Story überhaupt einen Nährwert hat oder früher oder später, wenn Peter zurückkehren sollte, alles wieder beim Alten ist. Und ja, besonders was den Punkt der Logik betrifft, so bin ich momentan doch voll und ganz auf der Skeptikerseite. Es hat einfach den Eindruck, als befänden wir uns in einem dritten Paralleluniversum, in dem Peter niemals geboren wurde, aber weshalb haben die Beobachtern ihn dann bis zuletzt weiter existieren lassen? Was genau war der Zweck? Die Brücke zwischen beiden Universen herzustellen? Aber wenn sich durch Peters Auslöschung so viel verändert hat, weshalb ist dann immer noch die Brücke da? Und angenommen, die Brücke wurde letztendlich in dieser peterlosen Realität gar nicht von Peter gebaut, sondern von Walter, was war dann überhaupt Peters Zweck?

Sehen wir es ein: Die Story ist momentan verwirrend. Sie wirkt auf den ersten Blick absolut unlogisch und irgendwie erscheint es so, als sei es egal, welche Lösung uns die Autoren präsentieren, weil diese uns letztendlich sowieso nicht zufrieden stellen wird. Aber denken wir doch mal logisch: Die Autoren werden sich durchaus bewusst gewesen sein, was sie uns Zuschauern damit zumuten. Sie werden alle geahnt haben, wie verwirrend das für uns wird. Sie werden alle im Klaren darüber gewesen sein, dass die Zuschauer sie gnadenlos bestrafen würden, würden sie uns keine zufriedenstellende Auflösung geben. Und die Autoren werden diese Storyline dann letztendlich auch nur aufgenommen haben, eben weil sie einen Weg gefunden haben, die ganze Storyline rückblickend sinnvoll zu machen. Vielleicht lehne ich mich mit meinem Optimismus zu weit aus dem Fenster, aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir am Ende dieser Storyline mit einem großen „AH“-Effekt zurückgelassen, wir endlich den Sinn der ganzen Sache verstehen und vielleicht sogar ein schlechtes Gewissen haben werden, dass wir diese Storyline im Vorneherein so zerrissen haben. Und wäre es nicht ärgerlich, sich den Genuss der noch kommenden Episoden diesbezüglich so zu verderben, wenn sich doch am Ende herausstellt, dass es gar keinen Grund dazu gegeben hätte? Natürlich kann ich auch total falsch liegen und am Ende werden wir mit enttäuschten Gesichtern und einer hanebüchen Aufklärung zurückgelassen. Aber bis die Storyline um Peter nicht aufgelöst wurde, werde ich versuchen, jegliche Spekulationen zu vermeiden und diese Storyline in meinen Reviews weites gehend zu ignorieren.

Dabei hoffe ich aber auch, dass diese Storyline nicht mehr ganz so lange andauert. Denn momentan gefällt es mir nicht, welche Auswirkungen das Ganze auf Walter hat. Hatte man noch in der letzten Folge dank typisch herrlichen Walter-Szenen darüber hinwegsehen können, dass es doch schwer fällt, einen generell traurigeren und nachdenklich wirkenden Walter zu sehen, so dominierte eben dieser Zustand in dieser Episode. Bis auf die ersten Minuten der Folge, in denen Walters Spiegelphobie und seine Unterhaltung mit Kennedy ... pardon: Lincoln ... noch für ein wenig Auflockerung sorgten, war Walter überraschend wenig zu sehen und wenn, dann nur in einem schwer erträglichen depressiven Zustand, in dem ich ihn persönlich einfach ungern sehe. Daher hätte ich es auch nicht wirklich schade gefunden, wenn man an dieser Stelle die Schere angesetzt hätte, wobei es natürlich interessant ist, dass sich Peter offenbar in irgendeiner Form bewusst ist, dass er aus der Zeitlinie entfernt wurde und nun versucht, Kontakt zu seinem Vater aufzunehmen.

Fazit

"Fringe" hat momentan so einige Faktoren, die dem gewohnten Zuschauer schwer zu schaffen machen könnten. Doch da diese Faktoren wohl noch eine Zeit lang eine feste Konstante bleiben werden, sollte man jene ein wenig in Klammern setzen und sich in den jeweiligen Episoden auf das konzentrieren, was wirklich funktioniert – und in #4.02 One Night in October funktionierte so einiges: der einfühlsame aber gleichzeitig verdammt spannend erzählte Fall, die interessante Zusammenarbeit der beiden Teams und die damit verbundenen absolut gelungenen Szenen zwischen den unterschiedlichen Charakteren. Alles in allem eine viel zu unterhaltsame Mischung, als dass ich die Episode wegen der ganzen Geschichte um Peter groß kritisieren könnte – und vielleicht stellt sich in einigen Wochen ja eh heraus, dass es da sowieso nichts zu kritisieren gegeben hätte. "Even when it's the darkest, you can step into the light."

Manuel H. - myFanbase

Die Serie "Fringe - Grenzfälle des FBI" ansehen:


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