Bewertung
Philippe Falardeau

Monsieur Lazhar

"Rien n'est tout à fait normal en Algérie."

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Inhalt

An einer Grundschule im kanadischen Montreal verübt eine Lehrerin Selbstmord, was die gesamte Schulgemeinde schwer traumatisiert. Auf der Suche nach einem Ersatz stellt die Direktorin (Danielle Proulx) den algerischen Immigranten Bachir Lazhar (Mohamed Fellag) ein, der fortan die Klasse unterrichtet. Trotz der kulturellen Unterschiede versucht Monsieur Lazhar, Zugang zu den Kindern zu finden und ihnen zu helfen, den schrecklichen Vorfall hinter sich zu lassen und zum Alltag zurückzukehren. Dabei muss er sich mit seinen unkonventionellen Methoden nicht nur gegen seine Kollegschaft und die Eltern der Schüler behaupten, sondern gleichzeitig sein Geheimnis unter Verschluss halten – denn Lazhar droht die Abschiebung.

Kritik

Man kann sicherlich behaupten, dass sich der kanadische – oder wohl genauer gesagt, der franko-kanadische – Film in den letzten Jahren regelrecht bei den Oscars etabliert hat. Bei den Nominierungen für den Besten fremdsprachigen Film stehen fast jährlich Werke aus Quebec, der französischsprachigen Provinz Kanadas, auf der Liste; ein Trend, der 2003 mit dem Gewinn von Denys Arcands "Les Invasions barbares" wohl seinen Anfang nahm. Nachdem das Montrealer Produzentenduo Luc Déry und Kim McGraw sich bereits 2011 über eine Oscarnominierung für "Incendies" freuen durfte, schaffte es 2012 direkt im Anschluss "Monsieur Lazhar" in die Auswahl der fünf besten Filme, musste sich jedoch gegen den iranischen Beitrag "Nader und Simin – Eine Trennung" geschlagen geben.

"Monsieur Lazhar" ist von einer Subtilität und gleichzeitigen Kompexität geprägt, die man selten findet und die daher umso erfrischender ist. Der Film kommt ohne wuchtige oder hochdramatische Szenen aus, sondern entwickelt seine Geschichte behutsam, Schritt für Schritt, und mit einer enormen Authentizität. Im Zentrum steht der titelgebende Protagonist, ein algerischer Einwanderer, der sich – wie sich im Laufe des Films herausstellt – illegal in Kanada befindet und dem in jedem Moment die Abschiebung droht. Mit dieser ständigen Bedrohung im Hintergrund baut der Film geschickt einen Spannungsbogen auf, ohne dabei die eigentliche Hauptthematik aus den Augen zu verlieren: den Umgang mit Verlust. Zum einen geht es um den Verlust, den Lazhar aufgrund der Flucht aus seinem Heimatland Algerien erlitt und der ihn prägt und treibt. Zum anderen geht es um den Verlust, den der Selbstmord der Lehrerin darstellt, und der eine ganze Schule vor eine große Herausforderung stellt.

Es ist beeindruckend, wie Regisseur und Drehbuchautor Philippe Falardeau es schafft, diese beiden Handlungsstränge organisch zu verknüpfen – einmal Lazhars persönliche Verlusterfahrungen und die Probleme, die er als Immigrant in einem fremden Land hat, wo zwar alle seine Sprache sprechen, er aber trotzdem ein Fremder ist; und einmal die persönlichen Schicksale der Lehrer und Schüler, die mit dem Selbstmord der Lehrerin umgehen müssen. Jedem der Charaktere – vom Lehrerstab bis zur Schülerschaft – wird genug Platz eingeräumt, um ein enorm akkurates und sehr ergreifendes Gesamtbild der Schule zu schaffen, die versucht, angesichts der Tragödie zusammenzuhalten und weiterzumachen. Falardeau gelingt es perfekt, die hochaktuelle Immigrationsthematik, das Thema Erziehung und Schule, sowie die psychologische Komplexität und die Auswirkungen des furchtbaren Selbstmords zu integrieren.

Das hervorragende Drehbuch wird dabei nicht nur durch Falardeaus gelungene Inszenierung zum Leben erweckt, sondern natürlich auch durch die Schauspieler, die allesamt makellose Arbeit leisten. Fellag als Monsieur Lazhar ist gleichzeitig ein konservativer Vogel, der mit uralten Lehrmethoden seine Schüler zu unterrichten versucht, gleichzeitig aber auch ein derart liebenswürdiger und herzlicher Mensch, dass man ihn nach der ersten Szene ins Herz schließen muss. Erstaunlich ist es zudem, wie er trotz der ernsten Grundprämisse des Films immer wieder ein wenig Humor in den Film zaubert. Gerade in Interaktion mit den Kindern, vor allem Alice (Sophie Nélisse) und Simon (Émilien Néron), deren Darsteller beide für ihr Alter Herausragendes leisten, ist Fellag eine Wucht und schafft es mühelos, alle die Facetten seines Charakters zu zeigen.

Fazit

Ergreifend und mitreißend, gleichzeitig komplex und gesellschaftskritisch – "Monsieur Lazhar" ist ein hervorragender Film über Verlust, Neuanfang und Freundschaft und behandelt zudem noch schwierige Themen wie Immigration, Erziehung und Bildung. Quebec hat ein weiteres enorm sehenswertes Filmwerk produziert, das seine Oscarnominierung definitiv verdient hat und das jedem ans Herz zu legen ist.

Maria Gruber - myFanbase
10.04.2012

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