Bewertung

Review: #4.08 Brüder

Foto: Copyright: 2011 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.
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Was wissen wir eigentlich über Gustavo Fring? Über den undurchschaubaren Restaurantbesitzer, der sich immer unter Kontrolle hat und damit nicht gerade selten geradezu unmenschlich wirkt? Über jemanden, der mit seiner Art so unglaublich deplatziert wirkt in dem Drogenbusiness und der sich mit einem scheinbar übermächtigen Gegner in Form des mexikanischen Drogenkartells anlegt, ohne mit der Wimper zu zucken? #4.08 Hermanos versucht als erste Episode, Gus mit einer Hintergrundgeschichte auszustatten, die es dem Zuschauer erlaubt, das große Mysterium um seine Person zumindest teilweise zu entschlüsseln – und ist dabei auch noch extrem unterhaltsam.

"This is what comes of 'blood for blood.'"

Die Episode beginnt mit einem plottechnisch ungewöhnlich weit zurückreichenden "Was bisher geschah...", ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Gilligan und Co. gedenken, so einige als abgeschlossen gegoltenen Handlungsstränge wieder aufzurollen und zu elaborieren, sodass sie aktuelle Ereignisse besser erklären oder unter Umständen auch in ein anderes Licht rücken. Es folgt ein Flashback von Gus und Tio, in dem Gus Tio schildert, wie er für den Tod der zwei Cousins und Kartellboss Juan Bolsa verantwortlich ist und dabei offensichtlich große Genugtuung verspürt – in Anbetracht dessen, was zwischen den beiden vor einigen Jahren vorgefallen ist (siehe das Ende der Episode), mehr als verständlich.

"That is such bullshit."

Wieder in der Gegenwart unterzieht sich Walter in einer onkologischen Klinik einer Untersuchung und macht dort Bekanntschaft mit einem Patienten, der froh zu sein scheint, sich mit einem Gleichgesinnten zu unterhalten und seinen Frust zu artikulieren. Der Patient erklärt, wie die Krebsdiagnose sein Leben zum Erliegen gebracht hätte. Dass Walter gern die komplette Kontrolle hat, haben die vergangenen Episoden einmal mehr deutlich gezeigt, dennoch kommt seine Reaktion auf diese Aussage selbst in Anbetracht seines bekannten Charakters auffälligerweise ziemlich aggressiv daher. Sie sei "Bullshit", man solle niemals die Kontrolle über sein Leben aus der Hand geben. Schließlich müsse jeder irgendwann sterben, deswegen solle man aber nicht sein ganzes Dasein darauf ausrichten. Für sich genommen ist dieser Moment ein interessanter Einblick in Walters aktuellen Gemütszustand, im Kontext zur kommenden Szene stellt er darüber hinaus eine aufschlussreiche Parallele dar: Gus ist mindestens genauso ein Kontrollfreak wie Walter.

"Sir, your fingerprints were found at a crime scene."

Offensichtlich wird das, als Gus zur Befragung ins APD-Hauptquartier (Albuquerque Police Department) geladen wird. Im Nachgang zu Hanks phänomenaler Ermittlungsarbeit aus der vergangenen Episode, in der es ihm gelang, Gus in Verbindung mit dem Mord an Gale zu bringen, wollen Tim (der mit Hank befreundete APD Detective, der ihm damals Gales Notizbuch brachte), Gomez, Merkert und Hank vor Ort natürlich von Gus direkt wissen, was es damit auf sich hat. Gus, nach außen hin freundlich und gut gelaunt wie immer, lässt es sich zunächst natürlich nicht nehmen, alle bereits während der Begrüßung indirekt darauf hinzuweisen, dass er ein guter (und spendabler) Freund des Police Departments ist. Richtig interessant wird es dann aber, als Gus eröffnet wird, dass seine Fingerabdrücke an einem Tatort gefunden worden seien. Gus ringt nicht um Fassung, keine einzige Schweißperle bildet sich auf seiner Stirn. Als ob ihm gerade eingefallen wäre, dass er irgendeine gänzlich banale Sache vergessen hat, gibt er den Kontakt mit Gale zu und erzählt von ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Auf absolut jede Frage weiß er eine Antwort, am Ende hat er sogar seinen Terminplaner zur Hand, um das perfekte Alibi für den Mordzeitpunkt an Gale zu liefern. Selbst als Hank einen auf Columbo macht und noch eine letzte Frage hinterher schiebt, die sich gewaschen hat ("Is Gustavo Fring your real name?"), bringt das Gus – zumindest äußerlich – nicht aus der Fassung. Nachdem die Befragung beendet ist und er in den Aufzug steigt, sieht man den komplett anderen Gus. Er liebt es, alles unter Kontrolle zu haben und wurde soeben in eine Situation gedrängt, in der er keine hatte und andere über ihn bestimmen konnten. Wie sehr ihn das aufgebracht hat, zeigt sein Gesichtsausdruck im Aufzug.

"Well, I agree. I think it was a good story. Still, why are we hearing it now?"

Nach dieser Show, die Gus gegenüber APD und DEA abgezogen hat, ist es wenig verwunderlich, dass niemand mehr Verdachtsmomente gegenüber Gus hegt – bis auf Hank. Hier spielt schließlich auch sicherlich der Umstand mit, dass Gus in den vergangenen Jahren durchaus großzügig die Polizei unterstützte und sich dadurch als nützlichen, aber bestimmt beabsichtigten Nebeneffekt ein Image als perfekter Bürger zulegen konnte. Denn natürlich besitzt es auch eine gewisse Brisanz, jemanden einer kriminellen Tat zu bezichtigen, der alles in seiner Macht getan hat, um als Freund der örtlichen Polizei dazustehen. Hank interessiert das alles nicht, und so stellt er in der kleinen Runde nach Gus' Verhör eine Frage, die einmal mehr beweist, wie sehr er sich in einem Fall festbeißen kann und wie genial er mitunter ist. Wieso hat sich Gus erst jetzt gemeldet, nachdem der Mord an Gale doch prominent in den Zeitungen platziert war und Gus als vermeintlicher Freund Gales und der Polizei gilt? Bestimmt hätte Gus auch darauf noch eine Antwort gehabt, aber er ist nicht mehr da und so wird Hank mit seinen Restzweifeln und einem zusätzlichen Motivationsschub aus Trotz, weil keiner seinen Einwand ernstzunehmen scheint, allein gelassen.

"Ready to get your mind blown?"

Wie der Zuschauer bei einem gemeinsamen Essen der Schraders und Whites erfährt, geht Walters Krebs weiter zurück. Allzu begeistert davon sind einmal wieder nur alle anderen, jedoch Walter nicht. Aber das kennt man ja. Marie rutscht während des Essens heraus, dass Hank ein Meeting mit wichtigen DEA-Leuten hatte. Hank gelingt es, das Thema zu wechseln und bittet Walter darum, ihn morgen zu einer Mineralienausstellung zu fahren. Als jeder befürchtete, dass Hank Walter nun vielleicht bei seinen Ermittlungen bezüglich Gus außen vor lässt, lässt Hank die Bombe platzen. Walter soll ihn nicht zur Ausstellung fahren, sondern zum "Los Pollos Hermanos"! Hank weiht Walter in seinen Verdacht gegenüber Gus ein und bittet ihn darum, einen GPS Peilsender unter Gus' Auto zu platzieren. Das Ganze wäre schon heikel genug für Walter, der sich mittlerweile bewusst ist, dass Gus ihm immer einen Schritt voraus ist. Aber "Breaking Bad" setzt noch einen drauf und so fährt Mike gerade auf den Parkplatz des Restaurants, in unmittelbarer Nähe zu Walter! Walters Schweißperlen werden immer mehr, während Mike in Walters Sichtweite so tut, als würde er Zeitung lesen. Walter lässt sich von Hank breit schlagen, nimmt den Peilsender mit und bindet sich wie abgemacht just vor Gus' Volvo seine Schuhe zu, platziert den Sender jedoch nicht dort, sondern nimmt ihn mit ins Restaurant. Auf wen trifft er da natürlich sofort? Richtig, Gus! Armer Walter... Sichtlich mitgenommen, entscheidet er sich für das einzig Richtige und erzählt Gus davon, wie er von Hank regelrecht dazu genötigt wird, den Peilsender anzubringen. Um die Illusion zu bewahren, dass sich die beiden nur sehr flüchtig kennen, besteht Gus darauf, dass Walter den Sender anbringt und zieht dabei eine regelrechte Fratze, die freundlich wirken sollte, aber nur noch mehr offenbart, wie sehr Gus' Verhalten gespielt ist. Walter weiß, wie gefährlich Gus insbesondere dann ist, wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlt, und macht sich zum Drogenlabor auf, um in eine der Überwachungskamera hinein zu beteuern, dass Hanks Ermittlungen lediglich auf Bauchgefühl beruhen würden und bettelt regelrecht darum, Hank nichts anzutun.

"Boss is busy."

Jesse, der Andrea und Brock ihr eigenes kleines Häuslein besorgt hat und ihnen durch Saul in regelmäßigen Abständen Geld zusteckt, wird von Walter nach dieser Erfahrung dazu gedrängt, Gus noch diese Woche, am besten noch heute zu töten. Jesse entgegnet, dass keine Treffen mit Gus vereinbart seien und offenbart damit, wie groß die Distanz zwischen ihm und Walter mittlerweile ist. Denn Jesse hat um ein Treffen gebeten, wie Walter anhand einer SMS an Jesse erfährt, das jedoch abgelehnt wurde. Anscheinend hat Jesse nach seinem traumatischen Erlebnis (dem Mord an Gale) nur einen kleinen Schubs von Seiten Gus und Mike benötigt, um sich zusehends von Walter zu entfernen. Man darf gespannt sein, wie sich das weiterentwickelt.

"Look at him. You did this to him. Now, look at him."

Schließlich folgt die (vor-)letzte Szene, ein Flashback ins Jahr 1989, als Gus noch volleres Haar und keine Brille hatte. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Max Arciniega sitzt er gemeinsam mit Tio, einem damals noch quicklebendigen Juan Bolsa und dem damaligen Kartellboss Don Eladio (der übrigens von dem vor allem aus dem Kultfilm "Scarface" bekannten Steven Bauer gespielt wird) am Pool von Don Eladios Anwesen. Wie es scheint, haben Gus als Geschäftsmann und Max als Koch in Mexiko einen "Los Pollos Hermanos" aufgebaut, der geradezu großartiges Hühnchen zuzubereiten scheint. Nach etwas Smalltalk diesbezüglich und ein paar homophoben Bemerkungen Tios, die implizieren, dass Gus und Max mehr als nur Geschäftspartner sind – ein Eindruck, der sich auch dem Zuschauer offenbart, jedoch nicht abschließend geklärt wird – kommt Don Eladio zum eigentlichen Punkt: Gus und Max haben das Restaurant dazu genutzt, Meth an den Mann zu bringen, mitten in Don Eladios Revier, was diesem natürlich gar nicht gefällt. Aber Gus wäre nicht Geschäftsmann, wenn es ihm nicht gelänge, Don Eladio zu besänftigen und ihm nebenher sein Produkt schmackhaft zu machen. Das Meth wurde schließlich kostenlos verteilt, teils bewusst an Don Eladios Männer, damit es zu einem Treffen mit ihm kommt. Gus bietet zudem, nachdem er und Max die Qualität und Wirkung des "neuen Meth" preisen, seine Dienste an. Sie würden für Don Eladio das Meth herstellen und damit den Zwischenhändler, den es bei Kokain, Don Eladios bisherigem Kerngeschäft, gibt, entfernen. Don Eladio scheint durchaus angetan zu sein, am Ende schimmert jedoch durch, dass ihm die Art und Weise, wie er zu diesem Treffen manipuliert wurde, so gar nicht zusagt. Schließlich tötet Tio wie aus dem Nichts Max kaltblütig und zwingt Gus dazu, ihm beim Sterben zuzusehen, schließlich sei er ja für den Tod seines Geschäftspartners verantwortlich.

"Look at me, Hector."

Damit kennt man die schmerzvolle Vergangenheit Gus, in der er seine Emotionen noch nicht so unter Kontrolle hatte, und versteht umso besser, weswegen er später, wie in der ersten Szene zu erkennen, Tio im Altersheim besucht und ihm mit großer Genugtuung davon erzählt, wie er für den Tod der Cousins und Juan Bolsas verantwortlich ist. Eine letzte Demütigung, indem Tio/Hector Gus direkt ansehen soll, um durch den direkten Blickkontakt zwischen zwei Todfeinden das Grauen nochmals vor Augen geführt zu bekommen, gelingt Gus nicht. "Maybe next time." Deutlicher hätte Gus nicht mitteilen können, dass er seine Rache noch nicht am Ende sieht.

Fazit

Gus war lange Zeit dem Zuschauer ein Mysterium. Mit dieser eindrucksvollen, flashbacklastigen Episode konnte zumindest bis zu einem gewissen Punkt geklärt werden, weswegen Gus heute so ist, wie er ist - weswegen er geradezu emotionslos agiert, sich immer und überall absichert, er die Forderungen des Kartells unbeantwortet lässt und skrupellos gegen es vorgeht, wenn er eine Möglichkeit dazu sieht. Gepaart mit der Erkenntnis, dass Jesse und Walter sich zusehends emotional voneinander entfernen, Skyler das Wort "Geldwäsche" ein wenig zu wörtlich nimmt, und mit spannungsgeladenen Momenten wie auf dem "Los Pollos Hermanos" Parkplatz oder vor Don Eladios Pool, ist #4.08 Hermanos der endgültige Beweis dafür, dass "Breaking Bad" sich dramaturgisch und qualitativ dem Höhepunkt der Staffel nähert.

Andreas K. - myFanbase

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