Bewertung

Review: #3.11 Offene Worte

Zugegeben, eine Episode wie #3.10 Fly kann man nicht wöchentlich wiederholen. Eine Überraschung war es daher nur bedingt, dass #3.11 Abiquiu nun der dann doch ein wenig undankbaren Aufgabe nachkommt, das Teilnehmerfeld rund um Walter und Jesse wieder zu vergrößern und damit die inhärente Faszination dieses feinen Kammerspiels aufzubrechen. Es gibt wahrlich leichtere Aufgaben, als nicht nur eben der Nachfolger von "der Episode, in der Walter und Jesse die Fliege jagen" zu sein, sondern darüber hinaus auch den Showdown vorzubereiten, der uns in den folgenden zwei Episoden erwarten wird. Dafür macht sich "Breaking Bad" nicht nur die Rückkehr eines tot(geglaubt)en Charakters zunutze, sondern führt auch eine neue Figur ein, die das Gefühlsleben von Jesse ordentlich durcheinander bringt und greift geradezu spielerisch einen längst für abgeschlossen gehaltenen Handlungsfaden auf, um ihn in einen herreißenden Twist gipfeln zu lassen. Ach ja, und Skyler steigt mal so eben in Walters Geschäfte ein.

Nach der gleichsam eindrucksvollen wie bedeutenden Eröffnungsszene mit Jane, Jesse, Georgia O'Keeffe, Türen, weiblichen primäre Geschlechtsorgane und der Frage, ob es Perfektion gibt und ob es überhaupt ratsam ist, danach zu streben, nimmt Marie schließlich zur Unterstützung der Reha-Therapie ihres Mannes, der, wie sich später herausstellt, das Krankenhaus nicht verlassen will, bevor er nicht wieder gehen kann, das Geld zur Begleichung der ersten Krankenhausrechnung von Skyler entgegen. Damit profitiert Marie nun also ebenso - wenn auch unbewusst - von Walters Drogengeschäften, selbst wenn sie weiterhin die Mär seines unverhofften Glücksspieltalents glaubt.

"Just say the words. You think I'm stealing."

Unterdessen kochen Walter und Jesse unverdrossen in ihrem Superlabor weiter, wobei Jesse in seinen Kompetenzen drastisch durch Walters Sorge vor Gus und seinem Gefolge eingeschränkt wird. Für Walter scheint es mittlerweile erwiesen, dass Jesse Meth stiehlt und damit seine eigenen kleinen Deals tätigt bzw. tätigen lässt, dennoch scheint er darüber nicht verärgert, sondern versucht, Jesse zu schützen. Das Intermezzo mit Jesse, der Fliege und einer Hand voll Schlaftabletten hat wohl in der Tat zu einer Annäherung zwischen den beiden geführt.

Wenn Jesse also schon so viel Risiko auf sich nimmt, kann er doch genauso gut davon profitieren. Nachdem jedoch seine Geschäftsidee, (Ex-)Süchtigen, die er auf den NA-Treffen kennenlernt, seinen Stoff anzudrehen, die Badger wiederum in seiner unnachahmlichen Art so wundervoll mit "It's like shooting a baby in the face" umschreibt, nur sehr schwer in die Gänge kommt, entscheidet er sich dazu, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Dafür sucht er sich das denkbar schwächste Glied der Kette aus, einen schüchternen jungen Neuankömmling namens Andrea (übrigens gespielt von der wundervollen Emily Rios, auf die sich bald alle Fans von "Friday Night Lights" in einer Hauptrolle freuen dürfen). Dass sie im Übrigen nicht gerade unansehnlich ist, war sicherlich ein Opfer, das Jesse nur allzu bereit war einzugehen. Es kommt, wie es kommen muss, Jesse und Andrea landen im Bett, woraufhin Jesse immer noch eifrig bemüht ist, ihr durch Werbung, die das Attribut subliminal nicht verdient hat, das berühmte blaue Meth schmackhaft zu machen. Just in dem Moment, in dem sie anzubeißen scheint, werden die beiden durch die Ankunft von Andreas Mutter und deren Enkel - Andreas Sohn! - Brock unschön gestört. Dieser Bruchteil einer Sekunde, von aufgeregter Zuversicht über Überraschung zu Mitgefühl und der Einsicht, dass es hier nichts zu holen gibt, spielt sich komplett in Jesses Gesicht ab, und er ist für den Zuschauer sofort ersichtlich. Wer also tatsächlich bisher noch an den awardwürdigen Leistungen Aaaron Pauls zweifelte, wird damit hoffentlich einen weiteren Grund erhalten haben, seine Haltung nochmal gründlich zu überdenken.

"They gave Tomas a gun. Gave him a choice."

Der Humor darf natürlich auch nicht fehlen. Diesmal sorgen vor allem Badger und Skinny Pete mit dümmlich-liebenswerten Aussagen über ihre Fortschritte bei den NAs für so manche Lacher. Was für den Zuschauer erheiternd ist, wirkt ernüchternd für Jesse, dem einmal wieder vor Augen gehalten wird, dass er eben doch alles alleine machen muss und sich keine ernstgemeinte Hilfe von den beiden erhoffen darf. Bei dem gemeinsamen Besuch eines Taco-Restaurants mit Andrea und Brock, wo sich Jesse einmal wieder herzallerliebst gibt und beweist, dass er nicht der harte Kerl ist, den er gern spielt und der er vielleicht auch gern sein würde, erfahren Jesse und Zuschauer, dass Brock einen großen Bruder hat, Tomas. Was es über ihn zu berichten gibt? "We don't talk about him". Da liegt also ganz offensichtlich etwas so richtig im Argen.

Was genau, erfährt man kurze Zeit später. Zuvor hat Jesse sein ursprünglich anvisiertes Ziel jedoch erreicht: Andrea ist auf Jesses Missionierungsversuche angesprungen und möchte etwas von dem blauen Meth probieren. Jesse, der mit Brocks Ankunft keinen Gedanken mehr daran verschwendet hat und sich insgeheim schon seine kleine Familienidylle ausmalte, reagiert darüber entsprechend geschockt und macht Andrea üble Vorwürfe (die jedoch allesamt gerechtfertigt sind). Es kommt zum Streit, im Anschluss zu gegenseitigen Entschuldigungen und schließlich zu diesem einem Moment, in dem vor allem Andrea verletzlich ist und versucht, sich zu offenbaren. Also redet sie über Tomas, wie er als Kind den Reizen einer Gang erlag und mit zehn Jahren als Einführungsritual einen befeindeten Drogendealer erschoss. Der Twist an der Geschichte: Der getötete Drogendealer ist Combo, dessen Tod Jesse nur sehr oberflächlich überwunden hat. Hier kann man nun gern wieder die obige Anmerkung zu Aaron Pauls Schauspieltalent einfügen, denn dessen Mimik ist insbesondere in diesem Moment schlichtweg hervorragend.

Diese vollkommen unverhoffte und beeindruckende Storyline ist aber noch längst nicht zu Ende, denn Jesse fährt zu dem Ort, wo Combo erschossen wurde und trifft auf Tomas, von dem er als Vorwand Drogen kauft. Zwei Dinge werden hierbei klar. Zunächst scheint die Art und Weise, wie Tomas den Deal handhabt, darauf hinzudeuten, dass der Kampf um Tomas längst verloren ist. Außerdem kommt Jesse in den Kontakt mit den zwei Dealern, die für den Tod Combos verantwortlich sind. Wie lange es wohl dauern wird, bis es zu einem handfesten Krieg zwischen den beiden Seiten kommt?

"My guy is a tough... guy."

Auf der einen Seite wartet "Breaking Bad" also mit immens wichtigen Entwicklungen rund um Jesse auf. Aber auch auf der anderen Seite geht es alles andere als ruhig zu, denn Skyler sorgt sich zunehmend über die Sicherheit bezüglich Walters Drogengeld. Da sie als Buchhalterin durchaus weiß, worauf es ankommt, möchte sie unbedingt Walters Geldwäscher kennenlernen – Saul. Walter stellt die beiden also mehr als widerwillig vor und macht auch während des Gesprächs der beiden den Eindruck, als würde er am liebsten in den Erdboden versinken.

Saul und Skyler, kaum vorstellbar, dass es gegensätzlichere Figuren in der gesamten Serie gibt. Die immerzu korrekte, zur Bevormundung neigende Skyler und der schmierige und in jeglicher Hinsicht unverblümte Saul mit seinem Anwaltsdiplom von der University of American Samoa. Sauls "Charme" (zumindest würde er ihn als solchen bezeichnen) funktioniert bei Skyler nicht, ebenso wenig wie seine zahlreichen anderen Versuche, sich entweder ihre Sympathien zu sichern oder zumindest ein wenig vom Geschäftlichen abzulenken. Sie braucht nur einen klitzekleinen Moment, um durch diese Fassade zu sehen und Sauls Investment in eine Laser-Tag-Einrichtung (im Deutschen am ehesten unter "Lasergame" oder "Laserdrom" bekannt, wenn denn mal darüber gesprochen wird, da es in Deutschland verboten ist) zu kritisieren, was Saul regelrecht aufregt.

"Married couples can't be compelled to testify against one another... So there's that."

Sie hat jedoch Recht, Walter würde mit seinem Geld nie eine derartige Einrichtung unterstützen, und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis vielleicht auch die Steuerbehörde einen ähnlichen Verdacht hegte. Walter versichert Skyler zwar, dass Saul weiß, was er tut und merkt praktisch nebenbei an, dass er nicht plant, seine Drogenkarriere aufzugeben, aber Skyler lässt selbstverständlich nicht locker und findet schließlich eine Waschanlage, nein, die Waschanlage, in der Walter am Anfang der ersten Staffel noch arbeitete und mit einer herrlichen Bemerkung über die Augenbrauen seines Vorgesetzten kündigte.

Walter macht Saul also den Vorschlag, dass es doch viel passender wäre, dort zu investieren, wobei er aber nicht bedacht hat, dass man einen "Danny" braucht, einen Eingeweihten, der die Machenschaften des anderen schützt. Den gibt es nämlich beim Laserdrom, jedoch nicht in der Autowaschanlage. Als Walter Skyler von diesem Konzept erzählt, reagiert sie schließlich vollkommen überraschend und bietet sich als "Danny" für die Waschanlage an. Walter, der Skyler und Teile seines Umfelds ohnehin schon viel zu sehr in seine Geschäfte gezogen hat, versucht natürlich, sie mit außerordentlicher Vehemenz davon abzubringen, aber der Zuschauer kann sich wohl schon darauf einstellen, dass Skyler zukünftig eine Autowaschanlage leitet. Skyler, so ihre Logik, sei ohnehin bereits involviert, schließlich sei sie mit Walter verheiratet. Als dieser anmerkt, dass das nicht stimme, da sie geschieden seien, kommt Skyler mit dem zweiten großen Twist dieser Episode daher. Sie hat die Scheidungspapiere nie eingereicht, weil Ehepartner vor Gericht nicht gegeneinander aussagen müssen.

"We're working together. Why not break bread together?"

Als ob Walter nicht schon genug Probleme hat, wird er auch noch von Gus zum Abendessen zu sich nach Hause eingeladen, wo er sich sichtlich unwohl fühlt, da er der Fassade, die Gus gern aufzieht, voll und ganz misstraut. Gus jedoch schlägt Walter sogar vor, ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, damit Walter nicht dieselben Fehler macht wie er. Gus' erster Rat: Mache denselben Fehler nie zweimal. Nun könnte man ellenlang darüber diskutieren, welche Bedeutung exakt diese Szene für den weiteren Verlauf dieser und vielleicht sogar weiter folgenden Staffeln haben wird, an der eindrucksvoll bedrückenden Stimmung, die sie in jeder Sekunde verströmt, ändert dies indes nichts.

Fazit

Noch zwei Episoden, in denen nahezu alles geschehen kann, angefangen bei einem ausgewachsenen Bandenkrieg zwischen Jesse, Skinny Pete, Badger und dem Dealerring rund um Tomas, über Gus, der bei seinem Kalkül nie vor Mord zurückschreckte und eine immens große Gefahr für Walter und Jesse darstellt, über Skyler, die nun auch ganz offiziell Teil von Walters krimineller Seite ist und sich damit genauso wie er zur Jagd freigibt, ist im Grunde jeder einzelne Charakter gefährdet. Mit Leichtigkeit wird schließlich auch noch die empathische Seite Jesses gezeigt und eine potentielle neue Liebe für ihn eingeführt. Wenn das lediglich die Grundsteinlegung für den Rest der Staffel war, dann kann man getrost wahrlich große Dinge für die Zukunft erwarten.

Andreas K. - myFanbase

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