Bewertung

Review: #2.09 4 Tage Auszeit

Foto: Aaron Paul, Breaking Bad - Copyright: 2009 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.
Aaron Paul, Breaking Bad
© 2009 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.

Die Symbolik bei "Breaking Bad" ist manchmal so genial subtil, dass sie derart banal wie ein laufender Wasserstrahl sein kann. Zu Beginn der Episode sehen wir Walter, wie er nachdenklich das Wasserspiel eines Brunnens in Dr. Delcavolis Wartezimmer anstarrt – am Ende sehen wir Walter in der Herrentoilette über dem Waschbecken stehen, der seine zitternden Hände unter den laufenden Wasserhahn hält. Doch der Walter aus der ersten und der letzten Szene ist nicht derselbe. Innerhalb von nur vier Tagen wird Walters Welt durch eine überraschende Nachricht völlig auf den Kopf gestellt – und dieser Mann, der seine Vergänglichkeit nicht nur akzeptiert hatte, sondern sie regelrecht als Befreiung empfand, steht nun vor der sowohl unerwarteten als auch ihm unerwünschten Diagnose, dass sein Krebstumor geschrumpft ist. Ironie des Schicksals.

#2.09 4 Tage Auszeit ist voller kleiner ironischer Momente, voll mit Szenen, in denen die Ironie des Schicksals in einer Verkettung aus dummen Zufällen wirkt. Die Episode beginnt mit einem Arztbesuch, der Walter vor Augen führt, dass seine Tage gezählt sind, und nach einem ernüchternden Gespräch mit Saul, der ihm einen mageren Kontostand von 16000 Dollar offenbart, ist Walter voller Aktionismus. Er will Meth kochen, er will Meth verkaufen, er will Kohle machen. Dafür behauptet er Skyler gegenüber, er wolle seine Mutter besuchen und dafür tischt er Jesse die überaus amüsante Lüge auf, dass Methylamin mit der Zeit "an Qualität verliere". Jesse lässt alle Pläne mit Jane fallen, kauft fleißig ein und holt in einer ersten von vielen herrlichen Szenen Walter mit dem Wohnwagen am Flughafen ab ("You brought a meth lab to the airport?" – "You said we were in a hurry! I saved us a trip."). Wie Regisseurin Michelle MacLaren dann erst in einer atmosphärischen Montage Walters und Jesses Roadtrip in die Wüste mit Blue Finks "Good Morning Freedom" unterlegt und in der nächsten Montage "One By One" von The Black Seeds zur Untermalung des Meth-Kochmarathons wählt (mit den geradezu prophetischen Songzeilen "Summon everything you've got / All your forces under the sun"), ist inszenatorisch einfach nur großartig und verfehlt auch die storytechnische Wirkung nicht: Wenn man dabei zusieht, wie Walter und Jesse mittlerweile schon professionell zusammen arbeiten, gemeinsam in der Sonne sitzen, der eine mit Zigarette, der andere mit Funyons in der Hand (nicht vergessen: "Funyons are awesome!"), und dann am Ende sogar ein High-Five rausspringt, als sie kalkulieren, dass jeder von ihnen gerade Meth im Wert von 672000 Dollar produziert hat, dann sind das phänomenale Charaktermomente.

Doch hier geht der Spaß erst richtig los. Intelligenzbestie Jesse hat den Schlüssel in der Zündung stecken lassen und so stehen die zwei Männer nun mit leerer Autobatterie mitten in der Wüste. Ironie des Schicksals. Genial ist hier, wie "Breaking Bad" aus dieser scheinbar erstmal aussichtslosen Situation handfeste Comedy produziert. Walters und Jesses ständige Kabbelei, der explodierende Generator, den Jesse mit ihrem Trinkwasser löscht, während Walter mit dem Feuerlöscher hinter ihm steht, Jesses selbstgebastelte Antenne aus Aluminiumfolie... diese Szenen sind überragend. Der Schwenk zur Ernsthaftigkeit gelingt aber mühelos, als das Duo nach ihren gescheiterten Versuchen erkennen muss, dass sie festsitzen und sich mit der realen Möglichkeit auseinandersetzen müssen, dass sie in der Wüste sterben werden. Der Moment der Resignation, als Walter und Jesse völlig erschöpft auf ihren Pritschen liegen, ist greifbar. Vor allem dann, als Walter realisiert, wie viele Lügen er seiner Familie schon erzählt hat, wie sehr er sie enttäuscht hat und wie viele Sorgen er ihnen bereitet hat.

Was folgt, ist der wahrscheinlich genialste Versuch einer Motivationsrede (Jesses Worte, von Aaron Paul mit einer herrlichen Mischung aus Enthusiasmus und Verzweiflung rübergebracht, muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: "You need to cut out all your loser, crybaby crap, right now, and think of something scientific. Come on, man! You're smart! You made poison out of beans, yo! We got an entire lab right here, right? How 'bout you take some of these chemicals and mix up some rocket fuel to send up a signal flare? Or, you make some kind of robot to get us out, or a homing device… or a battery… take some stuff off the RV, and make it into something completely different – like a dune buggy… What?") und Walters daraus resultierender Einfall, eine simple wie geniale Idee: Sie bauen eine Batterie. Genauso greifbar wie die Aussichtslosigkeit Sekunden zuvor ist die nun entfachte Hoffnung, dass sie diese Krise durchstehen werden. Walter, der Meister, und Jesse, der Schüler, beim Bauen einer Batterie, das ergibt dann schon wieder so manch witzige Momente ("Oh, wire!" - "Copper."). Am Ende der emotionalen Achterbahnfahrt überwiegt aber die Erleichterung mit den Protagonisten, als der Wohnwagen anspringt und sie wohlbehalten zurückfahren können.

Als hätte die Episode nicht schon genug starke Charaktermomente geboten, präsentiert sich uns mit der Abschiedsszene vor dem Flughafen der wahrscheinlich beste Walter/Jesse-Moment der Episode. Nach dem Nahtoderlebnis in der Wüste und angesichts des bevorstehenden Arzttermins ist der Tod für Walter ein nunmehr unmittelbares Ereignis. Umso bedeutungsvoller ist es, dass er Jesse zum ersten Mal sagt, dass er ihm vertraut, und ihm dies wohl auch zum ersten Mal selbst bewusst wird. In der Tat ist Jesse mittlerweile der einzige Mensch, der Walters ganze Wahrheit kennt. Und trotz der stetigen Streitereien ist beiden Männern klar, dass sie einander vertrauen können – nach diesem Wüstenausflug mehr denn je – und noch mehr, dass sie einander brauchen, sowohl als Geschäftspartner als auch als Vertrauenspersonen. Das beweist schließlich Jesses besorgte Nachfrage bei Walter, als er ihn am Flughafen absetzt, ob er von ihm hören werde.

Hätte die Episode an dieser Stelle geendet, sie wäre bereits als fantastisch einzustufen gewesen. Doch so richtig großartig wird sie mit der für Walter wie für den Zuschauer überraschenden Nachricht der Tumorremission. Die große Freude und Erleichterung von Skyler, Walt Jr., Hank und Marie wäre überwältigend, sähe man nicht in Walters Augen Tränen, die nicht nur Freudentränen sind, sondern auch Tränen der Verwirrung, der Enttäuschung, der Wut. Wut gegenüber dem Schicksal, das mit Walter spielt und nun von ihm verlangt, sich nicht mehr mit seiner Sterblichkeit, sondern seiner Zukunft auseinanderzusetzen. Wut, die sich später in der Herrentoilette entlädt, als Walter auf den Handtuchspender eindrischt. Eine unfassbar intensive Szene, die #2.09 letztlich die volle Punktzahl einhandelt.

Von einem Mann, der mit seinem Leben abgeschlossen hat, zu einem Mann, dem plötzlich wieder alle Wege offen stehen: Bedenkt man, dass die dargestellten vier Tage für das Publikum in der Echtzeit ja nur 50 Minuten entsprechen, begreift man erst, wie genial diese Folge eigentlich aufgebaut ist und wie grandios Bryan Cranston hier aufspielt, um die Veränderungen, die sein Protagonist Walter durchläuft, so überzeugend darzustellen. Walters Diagnose ist ein Wendepunkt, der für das restliche Staffeldrittel weitere grandiose Charaktermomente verspricht.

Maria Gruber - myFanbase

Die Serie "Breaking Bad" ansehen:


Vorherige Review:
#2.08 Beauftragen Sie Saul
Alle ReviewsNächste Review:
#2.10 Schluss

Diskussion zu dieser Episode

Du kannst hier oder in unserem Forum mit anderen Fans von "Breaking Bad" über die Folge #2.09 4 Tage Auszeit diskutieren.