Bewertung

Review: #6.03 Kapitel 3

Manchmal frägt man sich ernsthaft, wie "American Horror Story" es schafft, mit dem sagenhaften Unsinn davonzukommen, den Ryan Murphy und Brad Falchuk sich da manchmal von den Fingern schreiben – und dann auch noch so spielend leicht verlängert zu werden (Staffel 7 ist seit kurzem beschlossene Sache). Wo #6.01 Chapter One noch relativ vielversprechend erschien und #6.02 Chapter Two sich zumindest halbwegs über Wasser hielt, da sackt #6.03 Chapter Three direkt ins erste gnadenlose Tief der sechsten Staffel. Schier endloses Gestolpere durch den Wald, ein müdes Flashback ins 16. Jahrhundert und völlig absurde Charakterentscheidungen machen diese Folge zu einer spannungsarmen und belanglosen Angelegenheit.

"It was something from a nightmare."

Die Episode verlagert ihren erzählerischen Schwerpunkt auf das Verschwinden von Lees Tochter Flora und entwickelt sich im Zuge dessen zu einer Art Entführungsdrama. Das Verschwinden eines Kindes ist prinzipiell ein idealer Ausgangspunkt für eine spannende wie tragische Geschichte, doch Spannung oder Tragik stellen sich zu keiner Sekunde so richtig ein. Für Spannung fehlt es der Episode am richtigen Erzählaufbau, denn eine Spannungskurve lässt sich beim besten Willen nicht erkennen. Für Tragik fehlt es der Episode an interessanten Protagonisten, denn weder Lee noch Matt noch Shelby noch Flora noch Mason sind für den Zuschauer auch nur ansatzweise relevant. Und so verschwindet die kleine Flora und Mason wird zu Grillfleisch reduziert, und als Zuschauer denkt man sich nicht viel mehr als: Ist meine Pizza im Ofen eigentlich schon fertig?

Die Millers machen in dieser Episode zumindest einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung: Sie beginnen, zumindest ansatz- und stellenweise, zu akzeptieren, dass es in ihrem Haus und der umliegenden Gegend nicht ganz mit rechten Dingen zugehen kann. Dies ist dem Medium Cricket zu verdanken, der die gebeutelte Familie aufsucht und ihnen für eine ordentliche Summe Geld anbietet, die verschwundene Flora zu finden. So erfahren wir, dass Kathy Bates auch in Staffel 6 wieder einen absurden Akzent annehmen darf und den Geist von Thomasin White spielt, einer Siedlerin aus dem 16. Jahrhundert, die von ihren männlichen Kollegen auf brutalste Art und Weise aus der Kolonie verstoßen und von ihrem Sohn Ambrose verraten wurde. Im tiefen Wald traf sie dann auf Lady Gaga, die Thomasin von ihrer Mühsal befreite und ihr die Gelegenheit gab, sich mit einem großen Fleischmesser an ihren Peinigern zu rächen, weswegen sie nun den Spitznamen "The Butcher" trägt. Und Madame Butcher will ihren Besitzanspruch auf ihr Land nun auf keinen Fall aufgeben.

"Croatoan! Croatoan! That was all they said. It was the only word they knew. At the time... none of us understood what it meant. But we'd later come to understand that it was a warning."

So versucht Cricket, mit Thomasin einen Deal auszuhandeln: Sie lassen ihr das Land, wenn sie dafür das Geistermädchen Priscilla davon überzeugen, Flora gehen zu lassen. Lee verspricht Thomasin sogar, das Haus niederzubrennen, damit die Geister ein für alle Mal ihre Ruhe haben. Dies ganz zum Unmut von Shelby, die nicht wusste, dass ihr Mann dies seiner Schwester erlaubt hatte. Und als ob dies nicht schon Drama genug wäre, entdeckt Shelby Matt gefühlte zwei Sekunden später dabei, wie er mit Lady Gaga im Wald herumturtelt. Geschockt und verletzt beschließt Shelby also kurzerhand, Lee der Polizei auszuliefern und sie als potentielle Entführerin ihrer eigenen Tochter und Mörderin ihres Ex-Mannes hinzustellen.

Und an diesem Punkt denkt man sich als Zuschauer: "American Horror Story", was soll das denn nun wieder? Warum erzwingt man auf so schlechte Art und Weise so schlechtes Drama? Wer würde denn, nach all dem, was in diesem Haus und in den Wäldern passiert ist, einem dermaßen hirnrissigen Szenario wie dem, dass Matt mit einer verrückten Waldfrau Sex hat, Glauben schenken? Und nicht stattdessen mal in Ruhe alles infrage stellen, was bis dahin passiert ist (kurze Gedächtnisauffrischung: Allein in dieser Folge hatten wir verstümmelte Schweine, verwahrloste Waldjungen, die übernatürliche Begegnung mit Geistern inklusive halbierter Kerzen und zerbrochener Fenster und die Verbrennung von Mason)? Aber natürlich fasst Shelby in einer vollkommen unsinnigen Kurzschlussreaktion den Entschluss, wie die betrogene Ehefrau zu handeln und sich direkt an Matt zu rächen.

"We need to stop. You need to turn off those cameras. I said turn off those goddamn cameras!"

Womit wir zum einzigen wirklich interessanten Aspekt der Episode kommen: die Metaebene des Dokumentarfilms, die diesmal erfreulicherweise wieder mehr zur Geltung kommt. Wie bereits in der Review zu #6.01 angemerkt, gibt es einige feine Diskrepanzen zwischen dem, was wir in der vermeintlich "nachgestellten" Erzählung (mit Paulson, Gooding Jr. und Bassett) sehen und dem, was wir in der vermeintlich "realen" Erzählung (mit Rabe, Holland und Porter) zu hören kommen. Diese Diskrepanzen werden nun handfest, als sich zum ersten Mal der noch unbekannte Interviewer direkt mit einer Zwischenfrage einschaltet und wir in einem weiteren Schritt direkt auf eine weitere Metaerzählebene wechseln, nämlich die hinter der Kamera. Auslöser dafür ist die Erwähnung von Emily, Lees erster Tochter, die ebenfalls verschwand, und über die sie eigentlich nicht sprechen will, von der ihr Cricket jedoch schöne Grüße ausrichten lässt…

Lees Widerwille, etwas über Emily zu erzählen, verdeutlicht, dass wir den vermeintlich "realen" Protagonisten genauso wenig vertrauen können wie den vermeintlichen Schauspielern. Nicht nur halten sie Informationen zurück, sie verzerren sie auch durch ihre Wahrnehmung und ihre Erinnerungen. Sie sind allesamt unzuverlässige Erzähler und wir wissen im Endeffekt nichts darüber, wer sie wirklich sind, wie echt sie sind und wie echt das ist, was sie sagen. Hinzu kommt ihre zeitlich verzerrte Perspektive: Die vermeintlich "echten" Charaktere haben bereits all das durchlebt, was wir als Zuschauer erst jetzt zu sehen bekommen. Sie können sich aussuchen, was sie erzählen möchten und was nicht, woran sie sich erinnern wollen und an was nicht. Und das macht die ganze Sache zumindest ansatzweise etwas spannender.

"Help her understand there can be no friendship between the dead and the living."

Doch unterm Strich ist diese Episode vor allem eines: sagenhafter Unsinn. Mit wenig Unterhaltungswert. "Roanoke" vermag noch keinen wirklichen Reiz zu entfalten und wirkt so, als ob man mit ganz viel Mühe versucht, auf einen großen Twist hinzuarbeiten, wodurch man die eigentliche Story aus den Augen verliert. Es ist klar, dass da irgendetwas im Busch ist mit den verschiedenen Erzählebenen, dass viele Dinge womöglich nicht das sind, was sie scheinen. Aber wenn man vor lauter Twist den Kern der Erzählung vernachlässigt, so wie es bei dieser Episode der Fall ist, dann geht auch der Unterhaltungswert flöten. So bleibt diese dritte Folge von Staffel 6 weit hinter dem zurück, was man als unterhaltsame Fernsehunterhaltung bezeichnen würde; stattdessen enttäuscht diese Episode zu einem großen Teil und ist erstmal kein Plädoyer für eine siebte Staffel.

Maria Gruber - myFanbase

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